Kanzleimitarbeiter

ReFa und ReNo im digitalen Wandel – Wie verändert sich das Berufsbild von Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeitern?

Von Ronja Tietje

Ronja Tietje, Vorsitzende des RENO Bundesverbandes, im Interview

Technisches Verständnis für Kanzleiprozesse wird für Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter in Zukunft Basiswissen sein, sagt Ronja Tietje. Die Vorsitzende des RENO Bundesverbandes betont im Interview jedoch auch, dass eine Kanzleiführung ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Entscheidungen nicht einfach „vorsetzen“ kann, sondern diese mit ihnen gemeinsam umsetzen muss, um erfolgreich zu sein.

Experten sagen, dass ein Großteil der Arbeit, die heute von ReNos/ReFas erledigt wird, durch die Digitalisierung automatisiert werden soll. Müssen Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter um ihren Job bangen?

Nein, um seinen/ihren Job braucht keine Fachangestellte und kein Fachangestellter zu bangen. Im Gegenteil: Nie waren die Chancen für einen Jobwechsel mit Weiterentwicklungsmöglichkeiten so gut wie heute. Nach Aussage von Instituten, die sich mit dem Thema Digitalisierung befassen, ist es so, dass sich ca. 53 Prozent der Tätigkeiten im Office-Bereich digital abbilden lassen. Es heißt aber auch, dass 47 Prozent der Tätigkeiten ausschließlich durch eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter aus Fleisch und Blut und – derzeit wie auch zukünftig – nicht durch IT erledigt werden kann.

Kommt die Digitalisierung nicht dem Problem des allgemeinen ReNo-/ReFa-Nachwuchsmangels entgegen?

Im Grunde ja. Es ist unbestritten, dass der Fachkräftemangel auch die Anwaltskanzleien erreicht hat und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selten über Arbeitsmangel klagen – im Gegenteil. Da ist es geradezu perfekt, wenn sich Unterstützungsprozesse digital abbilden lassen und die Fachangestellten Zeit für fachliche Tätigkeiten haben.

Davon profitieren die Kanzleien auch noch auf andere Weise: Die Aufteilung der Arbeit auf juristisch ausgebildete Fachkräfte und auf Fachkräfte, die eine andere (branchenfremde) Ausbildung mitbringen, macht künftig noch mehr Sinn. Früher hat man für jede Tätigkeit schlicht ReNos oder ReFas eingestellt, weil man sich die Frage aufgrund der guten Personalmarktlage nach anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht stellen musste. Heutzutage sind Kanzleien gut beraten, genau zu differenzieren, für welche Tätigkeiten zwingend eine Fachkraft beschäftigt werden muss und wo jemand aus anderen Office-Berufen auch sehr gut eingesetzt werden kann. Dies macht eine kanzleiinterne individuelle Personalstruktur möglich und verändert auch den Bereich der Personalkosten.

Welche Kompetenzen werden bei Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeitern in Zukunft mehr gefordert sein, welche weniger?

Die Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter werden noch stärker als bisher in digitale Prozesse eingebunden werden. Daher wird es wichtig sein, diese Kompetenzen zu entwickeln und zu fördern – im eigenen Interesse der Kanzlei. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten mehr denn je aufgeschlossen für jegliche Veränderungsprozesse sein und gewillt, sich regelmäßig neben fachspezifischen auch technischen Fortbildungen zu widmen. Das Verständnis für die (technischen) Zusammenhänge des digitalen Arbeitsplatzes wird künftig zum Basiswissen gehören. Man muss mehr denn je verstehen, was man täglich macht und wie die Arbeitsergebnisse weiterverarbeitet werden. Man sieht ja nicht mehr physisch das Arbeitsergebnis des Tages in Form einer wegzuhängenden Akte.

Sie plädieren dafür, Change-Management-Prozesse zu nutzen, um Digitalisierung in einer Kanzlei zu realisieren. Wie funktioniert das konkret?

Legal Tech bzw. die Umwälzungen in der Arbeitswelt, die mit der Digitalisierung einhergehen, macht vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Angst. Dabei ist es vielfach die Angst vor dem Unbekannten als vor einer konkreten Veränderung, z. B. die Einführung der vollelektronischen Akte bzw. der E-Akte. Oft werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Veränderungen nicht transparent kommuniziert. Sie werden in Entscheidungs- und Vorbereitungsprozesse nicht eingebunden, sondern bekommen das Ergebnis einer Entscheidung plötzlich von der Kanzleiführung vorgesetzt und sind von heute auf morgen gezwungen, ihre Arbeits- und Denkweise zu verändern.

Im Rahmen des Change-Management sollte die Kanzleiführung Veränderungen als Projekt ansehen diese nicht nur transparent kommunizieren, planen und steuern, sondern damit einhergehend auch andere bzw. neue Werte, Ansichten, Führungsrollen, Aufgaben und Regeln – soweit wie möglich gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – aufstellen. Die Kanzleikultur wird sich im Rahmen der Digitalisierung verändern. Es wird künftig alles noch schneller, schlanker und dezentraler. Ein planloses Hineinstolpern oder das Prinzip „Trial and Error“ sollte es nicht geben, sondern ein maßvolles Planen und Nachhalten der Veränderungsprozesse.

Provokant gefragt: Wenn ich als Anwältin oder Anwalt Neuerungen, wie zum Beispiel eine Software, in den Workflow meiner Kanzlei einführen möchte, kann mir die Sichtweise meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch im Grunde egal sein, oder?

Nein, ganz im Gegenteil! Die Sichtweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist von zentraler Bedeutung. Denn letztendlich müssen diese zu einem Großteil mit der Software arbeiten. Da ist es wichtig, sie von Anfang an am Prozess zu beteiligen. Nicht zu vergessen, dass es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert, wenn sie an der Wahl der Software beteiligt werden.

Und um auf die vorherige Frage zum Change-Management zurückzukommen: Eine neue Software geht meistens mit einer massiven Veränderung von Arbeitsabläufen einher. Es muss daher genau geplant werden, wann durch wen in welcher Zeit welche Veränderungen vorgenommen werden. Wenn hier die Kanzleiführung nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an mitnimmt, kann diese Veränderung durch Inakzeptanz scheitern – mit gravierenden wirtschaftlichen Folgen.

Was würden Sie einer Kanzlei empfehlen, die sowohl junge als auch ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat und sich zwei Interessenlager entwickeln?

Es gilt, sich die Stärken und Schwächen der jeweiligen Generation und der jeweils vor Ort befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewusst zu machen und sie entsprechend ihrer Stärken in die Kanzlei einzubinden. Die junge Generation wird sicher eine ausgeprägte Kompetenz im Bereich der Digitalisierung haben. Es ist die Generation, die Google benutzt wie wir Wasser zum Durststillen nutzen. Dafür fehlt in der jüngeren Generation manchmal der Blick für das große Ganze. Hier kommt dann die Stärke der älteren Generation ins Spiel, die diesen Blick in der Regel ausgeprägter hat. Die Zusammenführung beider Stärken wird durch aktive Kommunikation, bei der sich alle im Team einbringen, in der Regel gelingen. Das Wichtigste ist, dass die Kommunikation zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und auch der Kanzleiführung nicht abreißt. Bleiben alle im Gespräch und dürfen konstruktiv ihr Feedback zu Entscheidungen abgeben, wird man immer zu einem Konsens finden, der alle Hierarchieebenen und Altersgruppen zufriedenstellt.

Wie wird die Personalstruktur der Kanzlei von morgen aussehen? Wird das System „ReFa/ReNo arbeitet Berufsträgern zu“ in Zukunft noch Bestand haben?

Ja, nur anders. Es werden z. B. keine Akten mehr von A nach B getragen, sondern alle Beteiligten arbeiten in der E-Akte. Außerdem kann durch die elektronische Akte auch dezentral gearbeitet werden. Homeoffice oder Mobile Office sind dann die (eigentlich nicht mehr ganz so) neuen Stichworte.

Kanzleien können ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus viel entfernteren Regionen rekrutieren, weil z. B. durch mobiles Arbeiten nicht mehr die tägliche Pendelei zur Kanzlei notwendig wird. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht Vollzeit arbeiten wollen, können hier auch profitieren. Sie sparen sich Fahrtzeiten und können zudem auch zu „neuen“ Uhrzeiten arbeiten. Aber Achtung: Die neuen Möglichkeiten korrespondieren noch nicht wirklich mit den bisherigen arbeitsrechtlichen Vorschriften. Hier müssten zumindest Fragen hinsichtlich der Erfassung von Arbeitszeiten und Ruhezeiten im Voraus geklärt werden – oder auch auf der unfallversicherungsrechtlichen Seite, wenn im Homeoffice ein Unfall geschieht oder Arbeitsmittel des Arbeitgebers im Haushalt des Arbeitnehmers beschädigt werden. Hier ist noch vieles unsicher und wird erst in den nächsten Jahren Verlässlichkeit bieten.

Die Digitalisierung verändert nicht nur die inhaltliche Arbeit, sondern auch den Arbeitsplatz an sich. Wie können Arbeitgeber den neuen Bedingungen im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements Rechnung tragen?

Durch die Digitalisierung werden immer weniger Menschen ihren Arbeitsplatz verlassen. Lässt sich doch fast alles vom Schreibtisch aus erledigen. Um körperlichen Leiden vorzubeugen, sollte die Kanzlei über Angebote für (gemeinsamen) Kanzleisport nachdenken oder z. B. Kanzleifahrräder zur Verfügung stellen. Wichtig ist, nicht einfach etwas zu entscheiden und es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu präsentieren. Auch hier ist es wichtig, deren Bedürfnisse kennenzulernen und auf diese einzugehen.

Ein guter Anfang sind elektrisch höhenverstellbare Schreibtische, die einen Wechsel von sitzender zu stehender Arbeit mehrmals am Tag problemlos ermöglichen. Auch ein zweiter, großer Monitor ist für die Arbeit von Vorteil. Zudem könnte man die Pausenregelung verändern. Statt einer Pause von einer Stunde am Mittag könnten die Pausen auf zwei Mal eine Viertelstunde morgens und nachmittags und einer halben Stunde mittags aufgeteilt werden. So wird sichergestellt, dass es feste Unterbrechungen in der Arbeit gibt.

Wo wir gerade über Change-Management-Prozesse sprechen: Wie kann eine Kanzlei aktuelle Veränderungen und die wahrscheinlich noch kommenden meistern?

Die Kanzlei sollte sich als ein „agiles Unternehmen“ verstehen, welches in seiner Entwicklung einem ständigen Fluss unterliegt. Ein agiles Unternehmen reagiert immer auf Veränderungen und zwar indem laufend Kapazitätsanforderungen, technische oder funktionale Anforderungen geprüft, gesteuert, kontrolliert und nachgehalten werden. Im Prinzip ist ein agiles Unternehmen nie an einem bestimmten Punkt der finalen Entwicklung angekommen, sondern hat akzeptiert, dass alles nur für einen bestimmten Zeitraum Bestand hat und danach wieder neuen Veränderungen unterworfen ist. In einem agilen Unternehmen wird nie die Aussage „Das haben wir immer schon so gemacht“ als in Stein gemeißelte Weisheit ausgesprochen. Das setzt natürlich auch ein hohes Maß an Flexibilität und Begeisterungsfähigkeit für Neues bei der Kanzleiführung und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern voraus.

Frau Tietje, ich danke vielmals für das Gespräch!

Foto: Adobe Stock/zorandim75
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Ronja Tietje ist Kanzleiberaterin bei Tietje & Schrader oHG Kanzlei-Consulting und Dozentin für Kanzleimanagement; u. a. in Fachwirtkursen. Die geprüfte Rechtsfachwirtin und Notarfachwirtin und ehemalige langjährige Bürovorsteherin mehrerer Kanzleien ist Vorstandsmitglied des Dachverbandes der Berufsvereinigung (Reno-Bundesverband).

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