SWOT Legal Tech

Wie erstelle ich mein eigenes Legal Tech-Konzept? Struktur schaffen per SWOT-Analyse

Von Ilona Cosack

Wie kann ich als „Generalist“ Legal Tech für mich nutzen? Hinter diese Frage steckt nichts anderes als die Suche nach einem klaren Konzept darüber, was Legal Tech für den individuellen Kanzleialltag bedeuten kann. Die SWOT-Analyse – ein altbewährtes Instrument aus der Betriebswirtschaftslehre –  schafft Abhilfe. Ziel einer solchen Analyse ist es, Anknüpfungspunkte für den Nutzen von Legal Tech herauszuarbeiten. Mit ihr können die Stärken und Schwächen sowie die Risiken und Chancen herausgearbeitet werden. An dieser Stelle betrachten wir zum einen den Rechtsanwalt als Person und zum anderen Legal Tech als Tool allgemeinen Sinne.

Stärken des Rechtsanwalts: Vertrauter Experte für alle Rechtsfragen

Die Stärken des Rechtsanwalts: Unabhängiger Berater, der kompetent und loyal ist und der anwaltlichen Verschwiegenheit unterliegt. Auch die gesetzlich vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung ist ein Alleinstellungsmerkmal, das Legal-Tech-Startups fehlt.
Im Massenmarkt ist das Risiko des Mandanten begrenzt, „sein Herz hängt nicht dran“. Anders sieht es aus, wenn das Interesse des Mandanten und die Bedeutung der Sache so hoch sind, dass es für den Mandanten existentiell (z. B. Arbeitsplatz) oder lebensbedrohlich (z. B. im Medizinrecht) ist. Dann begibt man sich auf eine andere Ebene. Der Mensch steht wieder im Mittelpunkt und neben der Expertise ist dabei auch das Fingerspitzengefühl gefragt, das der KI (noch?) fremd ist.

Vorteile von Legal Tech – Wie Anwälte Legal Tech für ihre Stärken nutzen können

Mit Legal Tech können Arbeitsabläufe standardisiert werden. So können Fehler vermieden und eine gleichbleibende Qualität gewährleistet werden. Durch Standards werden Mitarbeiter austauschbar, die Abhängigkeit von einzelnen Personen wird verringert. Der Einsatz von Technologie ermöglicht eine schnellere Bearbeitung. Zudem wird vermieden,  „das Rad immer neu erfinden zu müssen“. Zusätzlich erhöht sich die Mandantenzufriedenheit, da eine sofortige Reaktion erfolgt. Mit vorbereiteten Schreiben kann der Ablauf eines Mandats an den jeweiligen Punkten standardisiert werden, sodass sich Rückfragen verringern. Hier sollte einfache Sprache anstelle juristischer Ausdrucksweisen verwendet werden.

Praxistipp: Fangen Sie in einem kleinen Bereich an, den Sie kennen. Ist das Konzept erfolgreich, kann es optimiert und ausgedehnt werden.

 

Schwächen des Rechtsanwalts: Keine Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit

Die Erreichbarkeit ist zu verbessern. Während Legal Tech und KI „rund um die Uhr“ erreichbar sind, hat der Mensch nur bestimmte Kapazitäten zur Verfügung. Mandanten werden oft vertröstet, Rückrufe finden nicht oder nur bedingt statt. Nein-Sagen und das Konzentrieren auf Kernkompetenzen sowie der Aufbau eines Empfehlungsnetzwerks sind dem „Einzelkämpfer“ – als solcher fühlen sich viele Anwälte, auch in einer Bürogemeinschaft – fremd. Das führt dazu, dass der Mandant nicht immer den besten Anwalt bekommt, der ihm zusteht. Zusätzlich ist die juristische Sprache für den Laien oft schwer verständlich. Es gibt Anwälte, die stolz darauf sind, dass der Mandant sie nicht versteht. Der Rechtsanwalt lebt jedoch von seiner Dienstleistung.

Schwächen von Legal Tech: Weniger Vertrauen durch Anonymität

Legal Tech ist anonym. Selten wird der Mensch in den Mittelpunkt gestellt. Das Team, das hinter einem Legal-Tech-Unternehmen steht, bleibt im Hintergrund.
Legal Tech setzt voraus, dass diejenigen, die diese Art von Dienstleistung in Anspruch nehmen, eine gewisse Technikaffinität mitbringen. So muss der Benutzer in aller Regel Dateien oder Bilder auf das Portal laden und Fragen beantworten. Er muss seine persönlichen Daten zur Verfügung stellen, ohne den Betreiber des Portals zu kennen. Nicht immer ist ein telefonischer Kontakt möglich. Manche Portale versprechen einen Rückruf. Letztlich muss das Portal so viel Vertrauen schaffen, dass der potenzielle Mandant seine Daten eingibt und sich nicht auf die Suche nach anderen Portalen oder alternativen Lösungen begibt.

Praxistipp: Wer ein Legal-Tech-Portal betreibt, sollte Gesicht zeigen und trotz Technik den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

 

Risiken des Rechtsanwalts: Berufsbild im Wandel

Wird der „klassische“ Rechtsanwalt aussterben? Auf vielen Legal-Tech-Veranstaltungen kommen Experten zu dem Ergebnis, dass der Rechtsanwalt noch lange nicht durch KI verdrängt wird. Allerdings wird es Bereiche geben, in denen der Anwalt seine Arbeit mithilfe von KI besser und schneller erledigen kann. Und gewisse Bereiche, in denen der Anwalt jetzt noch tätig ist, werden zukünftig komplett durch KI übernommen. Das Berufsbild des Rechtsanwalts wird sich wandeln, weg vom klassischen Rechtsanwalt zum „Legal Engineer“, der neben der juristischen Ausbildung auch einen IT-Hintergrund aufweist. Auch die Universitäten werden das Thema Legal Tech aufgreifen. So bietet die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Freiburg Vorlesungen zu Legal Tech an. Auch die Ludwig-Maximilians-Universität in München veranstaltet Ringvorlesungen mit Gästen aus der Legal-Tech-Praxis. Hinzu kommen studentische Initiativen wie das Legal Tech Lab an der Frankfurter Goethe-Universität.

Preisstrukturen müssen angepasst werden

Neben der „Bedrohung“ durch Legal Tech ist der vielfach diskutierte Wegfall des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) ein Risiko. Wurde noch vor einigen Jahren der Wegfall des RDG in Kürze vorausgesagt, gingen die Experten auf der Jahrestagung des Instituts für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin im Februar 2018 davon aus, dass der „Fremdbesitz“ an Anwaltskanzleien noch in weiter Ferne sei oder doch nicht komme. Blickt man über die Landesgrenzen in andere europäische Länder, so wird eher ein Wegfall der Gebührenordnung Realität. Was mit dem Entfallen der Beratungsgebühr 2006 begann, könnte dazu führen, dass Anwälte sich verstärkt mit der Wirtschaftlichkeit der Kanzlei und einzelnen Mandaten auseinandersetzen müssen.

Risiken von Legal Tech: Widerstand von „alten Strukturen“

Legal Tech braucht – von der Idee bis zur Umsetzung – Mut und einen langen Atem. Mut zum Risiko, denn ob ein Legal-Tech-Unternehmen erfolgreich ist, hängt von vielen Faktoren ab. Investoren und Venture-Capital-Geber sind gefragt, um mit Millionenbeträgen in Vorlage zu gehen. Einigen Legal-Tech-Firmen ging nach kurzer Zeit die Luft aus, sie haben sich bereits wieder vom Markt verabschiedet.

So meldete Anfang 2017 Legalbase, das standardisierte Anwaltsdienstleistungen zum Festpreis angeboten hatte, nach nur einem Jahr Insolvenz an. Bahn-buddy.de teilt auf seiner Website mit: „Bahn-Buddy.de stellt ab sofort seinen Dienst ein. Es werden keine weiteren neuen Anträge mehr angenommen. Alle bestehenden Aufträge werden fertig bearbeitet und entsprechende Benachrichtigungen werden versendet. Alle Zugänge bleiben bis dahin verfügbar. Bahn-Buddy.de steht zum Verkauf. Wir bedanken uns bei unseren Kunden und Partnern für Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung.“ Der letzte Tweet ist von November 2017.

Vor zwei Jahren gründeten die Rechtsanwälte Dr. Frederik Gärtner und Dr. Daniel Halmer die Mietright GmbH als Betreiber des Portals wenigermiete.de. Die Rechtsanwaltskammer (RAK) Berlin mahnte das Startup ab mit dem Hinweis, es würde unzulässige Rechtsberatung betrieben. „Wir sind eine neue Art von Legal-Tech-Unternehmen, wie man es im Silicon Valley bereits gewohnt ist“, sagt Halmer. Im Kern geht es um eine onlinebasierte Inkassodienstleistung für Mieter, die zu viel gezahltes Geld zurückverlangen. Drei andere Firmen, die ähnliche Dienstleistungen anboten, gaben auf und schalteten ihre Internetseiten offline. Obwohl die Abmahnung gegen die Mietright GmbH ins Leere lief, verklagte die RAK Berlin die Firma. Das LG Berlin hatte am 15.1.2019 entschieden, dass die angebotenen Dienstleistungen des Anbieters der Plattform \"wenigermiete.de\" nicht gegen § 3 RDG verstoßen oder auf sonstige Weise unlauter wären. Es wurde Berufung eingelegt.

Lesen Sie auch "Warum Anwälte Legal-Tech-Portale nicht fürchten sollten" von Arno Lampmann.

Praxistipp: Rechnen Sie mit Widerständen der Kammern. Derzeit wird auch über eine Regulierung des Marktes für Legal Tech diskutiert.

Chancen des Rechtsanwalts: Nutzen Sie das digitale Zeitalter für sich!

Es liegt an den Anwälten, neue Chancen wahrzunehmen und zu ergreifen. Die Generation Z (ab 1996) erwartet eine Kommunikation mit Anwälten, die ihren Wünschen entspricht. Prof. Römermann ging auf dem Anwaltszukunftskongress 2018 davon aus, dass eine Kommunikation per WhatsApp vertretbar sei. Anwälte sollten die technischen Möglichkeiten nutzen, die sich heute bieten. Sei es für die eigene Mobilität oder die Kommunikation mit Mandanten.

Chancen von Legal Tech: Neue Geschäftsfelder und mehr Zugang zum Recht

Mithilfe von Legal Tech können neue Geschäftsfelder erschlossen werden. Legal Tech kann die Arbeit von Rechtsanwälten erleichtern und die Konzentration auf hochwertige Rechtsdienstleistungen fördern. Legal Tech kann auch ein Tool sein, das man seinen Mandanten zur Verfügung stellt. Legal Tech sichert den Zugang zum Recht für niedrigpreisige Bereiche, die im Rahmen einer analogen Bearbeitung unwirtschaftlich wären.
Legal Tech wird nicht mehr weggehen – auch wenn es teilweise noch bekämpft wird – es gilt vielmehr, die passenden Angebote zu finden und in den Arbeitsalltag zu integrieren.

Praxistipp: Keine Angst vor Wettbewerb. Mit hartz4fux.de sagt eine Rechtsanwältin aus Bonn dem Portal Hartz4Widerspruch den Kampf an.

Fazit: Mut und Effizienzlust sind gefragt

Anwälte, die sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten mit Legal Tech beschäftigen und die digitale Entwicklung sachlich beobachten, um diese für ihren Arbeitsalltag zu nutzen, werden niemals befürchten müssen, „wegrationalisiert“ zu werden. Legal Tech kann aber die eigene Effizienz erhöhen. Wer ein neues Geschäftsmodell entwickeln möchte, braucht auch unternehmerisches Know-how und ein Gefühl für versteckte Märkte. Dabei ist ein Legal-Tech-Konzept, das auf einer fundierten SWOT-Analyse fußt, ein solider erster Schritt.

Foto: Adobe Stock/Andrey Popov

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Ilona Cosack, Inhaberin der ABC Anwalts-
Beratung Cosack Fachberatung für Rechtsanwälte und Notare, berät und begleitet seit 1998 Anwaltskanzleien ganzheitlich als Expertin mit dem Schwerpunkt Anwältin und Anwalt als Unternehmer. Sie ist Autorin des Praxishandbuches Anwaltsmarketing und des Leitfadens für jede Anwaltskanzlei Digitalisierung erfolgreich umsetzen. Darüber hinaus gibt sie in Fachpublikationen und als Referentin, auch zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach, wertvolle Hinweise zum praktischen Einsatz in der Kanzlei.

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