Legal Tech-Tool

Wie Kanzleien sich mit juristischen Inhalten für Legal Tech-Tools neue Geschäftsfelder erschließen können

Von Martina Stasch

Man stelle sich vor, ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin eines Unternehmens könnte einen Sachverhalt in wenigen Schritten rechtlich bewerten, ohne jemals einen Juristen bzw. eine Juristin kontaktiert zu haben: Nicht möglich? Doch! Für bestimmte Rechtsbereiche ist das keine Zukunftsmusik, sondern bereits umsetzbar. Spezielle Legal Tech-Tools, die zu „Subsumtionsmaschinen“ programmiert werden, bieten sowohl Mandant:innen als auch Anwaltskanzleien viele Vorteile. Welche das sind, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Vielzahl juristischer Bereiche eignet sich für Legal Tech-Tools

Maßgeschneiderte Legal Tech-Produkte ermöglichen es, wiederkehrende juristische Prozesse IT-gestützt abzubilden, um so eine effiziente Abarbeitung mit gleichbleibend hoher Qualität zu ermöglichen.

Anwält:innen und Mandant:innen können von der Entwicklung solcher Tools zu unterschiedlichen Rechtsthemen gleichermaßen profitieren. Vereinfacht dargestellt, funktioniert ein solches Tool wie folgt: Der Mandant bzw. die Mandantin füttert das Tool mit Sachverhaltsdaten, die das Tool in einem interaktiven Prozess ermittelt und sogleich bewertet, um die nächste einschlägige Frage zu stellen. Wenn der Anwender bzw. die Anwenderin alle wesentlichen Fragen beantwortet hat, erhält er oder sie vom Tool eine Gesamtbewertung des Sachverhalts. Geeignet sind vor allem Rechtsbereiche, die einen hohen Grad an Wiederholung und Gleichförmigkeit aufweisen.

So haben wir bei Orth Kluth z. B. die juristischen Inhalte für ein Geldwäschepräventionstool geschaffen, das dabei hilft, die geldwäscherechtlichen Pflichten unserer Anwaltsbranche zu erfüllen. Die geldwäscherechtliche Prüfung ist mitunter sehr umfassend und komplex, folgt aber immer wieder demselben Muster und muss bei Anlage jedes neuen Mandats erfolgen.

Im Arbeitsrecht haben wir für einen Industriemandanten ein auf seinen Betrieb maßgeschneidertes „Fremdpersonaltool“ entwickelt. Durch die dort enthaltenen juristischen Fragestellungen wird der geplante Einsatz von Fremdpersonal in einem Unternehmen überprüft. Hierbei wird analysiert, ob aufgrund der Art und Weise der geplanten Beschäftigung ein Risiko einer Scheinselbständigkeit oder einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung besteht.

Vorteile für die Mandantschaft

Unternehmen können hinsichtlich der Effizienz, der Qualitätssicherung und -steigerung wesentliche Vorteile aus der Nutzung solcher Tools ziehen:

(Teil)automatisierte Prozesse ermöglichen eine deutlich höhere Bearbeitungsgeschwindigkeit, sind damit kosteneffizienter und ermöglichen ein höheres Service-Level.

So können durch Legal Tech-Lösungen mehrere Anwendende gleichzeitig ihren eigenen Fall durch ein Tool prüfen und bewerten lassen. Dies kann beispielsweise auch unabhängig von einer urlaubs- oder krankheitsbedingten Abwesenheit eines sonst zuständigen Sachbearbeitenden erfolgen.

Auch juristische Fragen, die aus geschäftspolitischen Gründen nicht vollautomatisiert bearbeitet werden sollen, können durch Tools effizienter behandelt werden. So können Anfragen kanalisiert, aufbereitet und dem richtigen Sachbearbeiter bzw. der richtigen Sachbearbeiterin in der Rechts-/Compliance-Abteilung zugeordnet werden. Dazu können in einem Tool z. B. bereits alle Sachverhaltsdaten eines Falles erfasst werden und die wesentlichen zugehörigen Dokumente hochgeladen werden. Auch könnte das Tool den Anwender bzw. die Anwenderin nach dem jeweiligen betroffenen Rechtsgebiet fragen. Je nach Antwort würde durch das Tool automatisch eine E-Mail samt aller erfassten Angaben und hochgeladenen Dokumente an den zuständigen Sachbearbeiter bzw. die zuständige Sachbearbeiterin verschickt werden. Mitarbeitende der Rechtsabteilung müssten so Fakten nicht erst mühsam in langer E-Mail-Korrespondenz erfragen.

Beispiel aus dem Bereich des Geldwäscherechts

Die Geschäftsleitung des Unternehmens profitiert von Tools z. B. im Bereich des Geldwäscherechts bei der Erfüllung ihrer umfassenden Compliance-Pflichten. Denn jeder eingegebene Fall – vorausgesetzt dies ist in der jeweiligen Konstellation datenschutzrechtlich zulässig – wird detailliert dokumentiert. Dies vereinfacht die Überwachung und das Aufdecken von unzulässigen Vorgängen im Unternehmen durch die Geschäftsleitung.

Zudem können Unternehmen mit keiner oder kleiner Rechts-/Compliance-Abteilung dank der Nutzung von Tools Rechtsbereiche, die mangels Personals sonst gar nicht, oder nur sehr unzureichend behandelt werden würden, dauerhaft und kontinuierlich im Tagessgeschäft bearbeiten und überwachen. Der standardisierte, sich aber an den individuellen Fall anpassende, Frage-Antwort-Mechanismus minimiert Anwenderfehler, wie sie insbesondere beim Ausfüllen von Formularen entstehen. Ein weiterer Vorteil der Automatisierung liegt darin, dass ein solches Tool (entweder ein Standard-Tool oder ein individualisiertes) Fristen errechnen, überwachen und den Anwender bzw. die Anwenderin an den Ablauf erinnern kann. Da die juristischen Problemstellungen in Unternehmen häufig ähnlich sind, können die Arbeitsergebnisse – vergleichbar mit einer Mustersatzung für Mandant:innen – rechtlich und sachlich modifiziert – immer wieder für verschiedene Mandant:innen Verwendung finden. Die Mandantschaft profitiert vom entsprechenden Knowhow der Kanzlei.

Nicht zuletzt kann die dem Bewertungsmechanismus zugrunde liegende juristische Bewertung fortlaufend aktualisiert und dem Mandanten bzw. der Mandantin direkt zur Verfügung gestellt werden.

Neues Geschäftsfeld für Kanzleien

Der große Nutzen, den Legal Tech-Produkte der Mandantschaft bescheren, spiegelt sich auch auf Seiten der Dienstleister wider.

Kanzleien mit Legal Tech-Expertise heben sich von ihren noch recht klassisch arbeitenden Wettbewerbern ab. Für Bestandsmandant:innen bleiben, für Neumandant:innen werden sie besonders attraktiv. Darüber hinaus eröffnet sich den Kanzleien über Legal Tech-Produkte ein Zugang zu weiteren Beratungsthemen, insbesondere auch dann, wenn ein Tool wegen der Besonderheit des Sachverhalts (z. B. bei einer sehr außergewöhnlichen Fallkonstellation) an seine Grenzen stößt und im Anschluss eine individuelle anwaltliche Beratung erfolgen muss. Durch die Möglichkeit, Bewertungen zu unterschiedlichen Rechtsbereichen in einem Tool zu vereinen, können Kanzleien Mandant:innen, die sie bisher nur in bestimmten Rechtsbereichen beraten haben, auch in dem zusätzlichen Rechtsbereich (ggf. auch außerhalb des Tools, also im Rahmen der klassischen Mandatsarbeit) beraten und hier ihre rechtliche Expertise unter Beweis stellen.

Fortlaufende Aktualisierungen führen zu einem kontinuierlichen Beratungskontakt in der Mandatsbeziehung und idealerweise zu einer langfristen Mandantenbindung. Dabei zu beachten sind selbstverständlich immer die Grenzen des Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetzes. Regelmäßig wird die rechtliche Beratung durch die Anwaltskanzlei und die technische Umsetzung sowie der Vertrieb durch einen IT-Dienstleister erfolgen.

Ein gutes Legal Tech-Produkt kann durch einen IT-Dienstleister als standardisiertes Produkt mehreren Mandant:innen angeboten werden. Jedenfalls kann auf dieser Basis für weitere Mandant:innen eine an den Bedarf des jeweiligen Mandants angepasste Lösung entwickelt werden. Selbstverständlich kann die Kanzlei ihre Legal Tech-Expertise und erarbeitete Produkte auch intern nutzen, beispielsweise bei Compliance-Themen, denen auch Kanzleien als eigenständige Unternehmen gerecht werden müssen.

Fazit: Nachfrage nach Legal Tech-Lösungen wird steigen

In jüngster Zeit hat sich das Angebot an Legal Tech-Produkten für den Rechtsmarkt stark gesteigert. Legal Tech umfasst weit mehr als diese Art von Tools. Diese scheinen aktuell aber besonders zukunftsträchtig, denn sie sind mehr als Programme zur reinen Sammlung und Ordnung von Daten in digitaler Form. Zwar ersetzen Legal Tech-Tools die klassische Rechtsberatung bei Weitem noch nicht, Mandant:innen werden solche Lösungen aber aufgrund der vielfältigen Vorteile zunehmend nachfragen. Geht die Kanzlei rechtzeitig auf die aktuelle Entwicklung ein, wird sie selber von der Arbeit mit Legal Tech-Tools profitieren und sich somit neue Geschäftsfelder erschließen.

Foto: Adobe Stock/khanchit
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Martina Stasch ist seit 2017 in den Bereichen Gesellschafts-
recht und M&A bei der Orth Kluth Rechtsanwälte Partnerschafts-
gesellschaft mbB
tätig. Seit zwei Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Legal Tech und entwickelt Tools (rechtliche Beratung) in ständiger Zusammenarbeit mit der OK Legal IT GmbH (technische Umsetzung/Vertrieb) für Mandanten und Mandantinnen sowie für kanzleiinterne Zwecke. 2019 gründete sie außerdem den French Desk bei Orth Kluth.

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