Legal Tech in der eigenen Kanzlei: Die Einstellung von Anwälten und Mitarbeitern zählt

Von Lutz Hartmann & Felicitas Werber-Ruf

Legal Tech zieht mit großer Geschwindigkeit in Kanzleien ein. Was macht Legal Tech mit Mitarbeitern? Was machen Mitarbeiter mit Legal Tech und worauf sollten sie sich konzentrieren?

Alte Welt – neue Werkzeuge

Die Kanzleiwelt ist noch sehr in alten Routinen verfangen. Generationen von Anwälten, Bürovorstehern und Rechtsanwaltsfachangestellten geben die Büroorganisation und das Prozessmanagement untereinander weiter. Anwälte vertrauen darauf, dass das im Sekretariat schon funktioniert. Die Einmischung von Anwälten in die Organisationsabläufe der „ReFas“ oder Assistentinnen ist unerwünscht. Sollte sie dennoch vorkommen, wird so lange geblockt, bis der Chef mit seinen neuen Ideen zurück im Büro verschwindet. Auch wenn das natürlich satirisch überzeichnet ist, wird die konsequente Einführung von Legal Tech Mauern überwinden, wenn nicht sogar einreißen müssen.

Begriffe wie agiles Arbeiten, Prozessmanagement und Design Thinking sind noch wenig verbreitet. Eine simple Erklärung über deren Bedeutung reicht nicht aus; vielmehr wird ein Verständnis für die Notwendigkeit dieser Arbeitsweisen sowie eine innere Akzeptanz bei den betroffenen Mitarbeitern und Anwälten benötigt.

Mehr Prozesssteuerung als Fallsteuerung

Gerade wenn Massenverfahren oder massenhaft automatisierte Prozesse durch Legal Tech abgebildet werden, wird es wichtig sein, dass die Mitarbeiter, anders als oft dargestellt, nicht stupide einen winzigen Teil des Rädchens bedienen, sondern einen Blick auf die Software und den Prozess richten, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Es ist dann eben nicht mehr von Bedeutung, in welchem Prozessschritt gerade der Fall Müller hängt, oder ob im Fall Bauer eine neue Verfügung eingegangen ist – diesen Teil übernimmt die Software. Die Aufmerksamkeit, die Kreativität und die Präzision der Mitarbeiter und Rechtsanwälte muss auf die Verbesserung und Steuerung des Prozesses gerichtet sein. Das erfordert neue Kompetenzen bei Juristen und Mitarbeitern – gelernt haben wir dies schließlich nicht.

Vielleicht kann man es so ausdrücken: Mitarbeiter sollten abends nicht über die Probleme von Einzelfällen nachdenken, sondern immer über die Verbesserung des Prozesses und die Vervollständigung der Automatisierung. Dies erfordert ein Umdenken bei den Kollegen, zu dem nicht alle der „alten Schule“ in der Lage sind. Die Einstellung „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist besonders in Kanzleien sehr weit verbreitet und genau diese Denkweise muss täglich überwunden werden.

Der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin muss also ein Auge dafür entwickeln, was technisch sinnvoll und umsetzbar ist. In diesem Zusammenhang bedarf es einer engen Diskussion mit Entwicklern und einer beidseitigen Offenheit. Anfänglich werden sich zwei Menschen unterschiedlicher Sprachen gegenüberstehen; jedoch muss ein Gefühl dafür entwickelt werden, warum der Jurist im Zweifel einen hohen Präzisionsbedarf hat, der Entwickler aber nicht „einfach mal“ einen neuen Absatz in komplexe, selbstgenerierende Schriftsätze schieben kann.

Klare Aufgaben – viel Struktur

Oft steht Legal Tech im Verdacht, die Verantwortung und den Spielraum des Einzelnen zu sehr zu beschränken. Sicherlich ist ein zentrales Ziel von per Software gesteuerten Prozessen die Vereinheitlichung; vor allem bietet dies in vielen Fällen auch eine sehr klare Arbeitsstruktur, leitet den Mitarbeiter durch den Tag und ermöglicht es ihm, sich auf spezielle Punkte, welche seine persönliche Kompetenz verlangen, zu konzentrieren.

In der von uns entwickelten Software zur Prüfung von Lebensversicherungsverträgen muss ein Rechtsanwalt nicht in der Akte blättern und nachsehen, welche Dokumente vorliegen: die Software zeigt es ihm an. Zudem haben wir die Kriterien der Analyse strukturiert – die Fallprüfung muss dementsprechend nicht immer neu im Kopf eines Anwalts durchlaufen werden, sondern erfolgt mithilfe der Matrix im System. Zusätzlich wird den Mitarbeitern durch automatisiert gesetzte Aufgaben ein roter Faden für ihre Arbeit vorgegeben. Nur so kann sichergestellt werden, dass bei einer hohen Anzahl von Verfahren die Bearbeitungsqualität stetig auf gleich hohem Niveau bleibt.

Da wir den Verwaltungsaufwand insgesamt stark reduzieren, sind wir dazu in der Lage, die Anzahl der zu prüfenden und zu bearbeitenden Verträge bei gleichbleibenden Qualitätsstandards deutlich zu erhöhen: die Struktur und Form einer digitalen Akte ist für einen Anwalt immer dieselbe – er muss nichts diktieren und seine Analyse wird durch die Beantwortung von Entscheidungsfragen oder die Auswahl weniger Vorgaben strukturiert.

Akzeptanz ist gefragt

Gewisse Dinge sind bei Legal Tech-Anwendungen unverrückbar; dies müssen Mitarbeiter und Anwälte akzeptieren, verinnerlichen und leben. Die konsequente Prozesssteuerung und der weitgehende Ausschluss von Prozessindividualisierung (die Diskussion, dass die Kollegin Wolf aber den Gerichtsteil gerne an anderer Stelle der Akte einordnet als der Kollege Bauer ist passé) sind solche Herzstücke.

Legal Tech und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Vereinfachung von Arbeitsorganisation und Arbeitsabläufen im Kanzleialltag fordert allen Beteiligten eine große Offenheit ab. Vereinheitlichung und Digitalisierung schafft Transparenz, Effizienz und klare Vorgaben für die Bearbeitung einer Akte. Das bedeutet einerseits große Chancen für die Verwender – denn sie können Ihre Arbeitskraft und Kreativität punktgenau einbringen – andererseits verlangt die damit geschaffene Transparenz auch selbstkritische Reflexion: Nutze ich meine Zeit effektiv? Kann ich meine Arbeitsweise dem System anpassen?

Eine entsprechende Aufgeschlossenheit und Vertrauen in die „Technik“ (nach sorgfältiger Programmierung und ausführlichen Tests) sind unabdingbare Voraussetzungen, die es Anwälten und Mitarbeitern erlauben, sich bei ihrer täglichen Arbeit wohlzufühlen und das System optimal nutzen zu können.

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Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
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Lutz Hartmann ist Gründungspartner von hwlegal in Frankfurt, einer Kanzlei, die sich der Rückabwicklung von Lebensversicherungen unter konsequenter Nutzung von LegalTech widmet. Nach dem Studium in Mainz, Freiburg und Paris war er 18 Jahre als M&A Anwalt in Paris und Frankfurt tätig, bevor er 2018 hwlegal gründete. Bis heute berät er noch ausgewählte Mandanten als Gründer der Kanzlei Belmont Legal bei Unternehmenstransaktionen, Investitionen und Finanzierungsrunden.

Felicitas Werber-Ruf ist Gründungspartnerin der 2018 in Frankfurt gegründeten Kanzlei hwlegal, die sich auf die Rückabwicklung von Lebensversicherungen unter konsequenter Nutzung von LegalTech fokussiert. Seit 2015 als Rechtsanwältin zugelassen, ist sie zudem als Anwältin im Gesellschaftsrecht bei Belmont Legal tätig. Ihr Studium absolvierte sie in Bonn und Valladolid, zusätzlich erwarb sie einen LL.M. in London.

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