Kanzleien

Legal Tech – Alles eine Frage der Einstellung?
Mit dieser Strategie zieht die gesamte Kanzlei mit!

Von Viviane Schrader

Legal Tech ist kein ganz neuer Trend auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt. Aber es wird die Arbeit in den Kanzleien verändern – ähnlich, wie die „Industrie 4.0“ andere Branchen beeinflusst. Warum wird Legal Tech vielerorts jedoch als Schreckgespenst angesehen? Aus diesen Gründen ist Legal Tech mehr Chance als Bedrohung.

Anwaltskanzleien sind ohnehin einem stetigen Wandel unterworfen – in technischer und auch fachlicher Hinsicht – und haben unterschiedliche Entwicklungen bisher selbstverständlich aufgegriffen. Die letzte große Veränderung wie die flächendeckende Nutzung des Internets sowie E-Mail als neues Kommunikationsmittel ist noch nicht lange her und hat zu Beginn sicherlich auch Fragen zum Sinn und Nutzen aufgeworfen. Was aber ist nun beim Thema Legal Tech anders und mit welcher Einstellung können Kanzleien den bevorstehenden Veränderungen positiv entgegentreten?

1. Legal Tech bringt Fortschritt auf vielen Kanzleiebenen

Die Wandlungen durch Legal Tech sind mit recht hoher Geschwindigkeit auf die Kanzleien getroffen. Zudem verändert Legal Tech eben nicht nur einen einzigen Bereich, sondern kann in den Kanzleien auf vielen Ebenen wirken. So gehören zu Legal Tech nicht nur Software-Anwendungen zur Kanzleiorganisation, Stammdaten- oder Dokumentenverwaltung, Abrechnung oder juristische Recherchen, sondern auch Internetplattformen zur Mandatsgewinnung oder zur Kommunikation mit anderen Berufsträgern. Zu guter Letzt kann Legal Tech auch die tägliche Arbeit dahingehend unterstützen, dass Tools eingesetzt werden, die Verträge oder AGB automatisiert erstellen, Dokumente auf verschiedene Arten analysieren u.v.m.

Die eine oder andere Technologie ist in der täglichen Arbeit schon seit Jahren selbstverständlich, z. B. die Nutzung von spezieller Kanzleisoftware oder Datenbanken zur juristischen Recherche. Hier hat sich der hohe Nutzen für die Kanzleien schnell bezahlt gemacht und die Technologie wurde akzeptiert. Wer offen für Neues bleibt, wird schnell auch die Vorteile kommender Legal Tech-Anwendungen erkennen.

Warum Legal Tech auch Angst machen kann

Der Begriff Legal Tech ist für viele Kanzleien noch sehr abstrakt. Dadurch verkennen sie oft die Chancen, die darin verborgen liegen. Manche Kanzlei möchte Legal Tech ganz bewusst nicht zu sehr in den Kanzleialltag eindringen lassen – meist aus Unwissenheit vor den Folgen oder aus Angst vor Veränderungen. Die Anwaltschaft ist immer mehr auf digitalen Wegen unterwegs und wird sich nicht allen Veränderungen verweigern können, wie aktuell das beA zeigt. Die Zukunft wird unweigerlich digital verlaufen. Ab 2020 wird neben der passiven Nutzungspflicht des beA auch die aktive Nutzungspflicht greifen. Das Land Schleswig-Holstein wird ab diesem Zeitpunkt bereits die elektronische Gerichtsakte führen. Spätestens ab dem Jahr 2026 soll diese elektronische Aktenführung bundesweit eingeführt sein. Es wäre also fatal, wenn Kanzleien diese Entwicklung nicht erkennen oder schlimmer noch – ignorieren.

2. Veränderungen als Chancen nutzen

Das bewusste Sich-Verschließen vor diesen Veränderungen ist nicht nur berufsrechtlich problematisch bzw. völlig unmöglich, sondern macht auch wirtschaftlich keinen Sinn. Die Kanzlei, die in den kommenden Jahren in Sachen Digitalisierung und Legal Tech hinterherhinkt, wird je nach Mandantenstamm Probleme bekommen. Mandanten sind es durch die aufkommende Digitalisierung gewohnt, schnell, unbürokratisch und unkompliziert mit ihrem rechtlichen Vertreter zu kommunizieren und verlangen mehr denn je rasche und juristisch perfekt aufbereitete Reaktionen. Sie verlangen – auch von Anwälten – ein gewisses Service-Bewusstsein. Das ist nur möglich, wenn die Kanzleien ihre internen Prozesse entsprechend verändern. Ohne Digitalisierung und die Hilfe von Legal Tech (besonders im Bereich der Recherche sowie der Standardisierung von juristischen Produkten) ist dies kaum möglich.

3. Mit agiler Kanzleiführung zum Erfolg

Es liegt vor allem in der Hand der Kanzleiführung, die Weichen für Legal Tech zu stellen. Sie muss einen interessierten Blick für Veränderungen (in jeglicher Hinsicht) haben, diese aufgreifen und umsetzen. Gerade die Digitalisierung hat in den letzten Jahren in der gesamtdeutschen Wirtschaft das Konzept der agilen Unternehmensführung etabliert. Dieses Konzept sollten sich auch Kanzleien zunutze machen. Ein besonderer Vorteil der agilen Unternehmensführung ist nämlich, dass agile – also flexible und kurzfristig handelnde Unternehmen – um ein Vielfaches erfolgreicher sind als solche, die starr im Markt handeln – und diesem irgendwann hinterherhinken. Agile Kanzleien reagieren besonders schnell auf externe und interne Veränderungen und handeln äußerst mandanten- und mitarbeiterorientiert. Sie richten ihr wirtschaftliches Handeln innovativ und flexibel aus und passen ihre Ziele schnell veränderten Rahmenbedingungen an. Das wirkt sich insbesondere auch auf die Führungs- und Kommunikationsmethoden (offene Feedback- und Fehlerkultur) aus. Kanzleien, die agile Kanzleiführung in ihr Leitbild übertragen haben, werden es künftig leichter haben, erfolgreich auf dem Markt zu bestehen, denn Veränderungen werden hier nicht negativ bewertet, sondern im Gegenteil positiv aufgenommen und implementiert.

Eine Kanzlei wird nicht über Nacht zu einem agilen Unternehmen. Hier bedarf es einer schrittweisen Annäherung an dieses Konzept, z. B. indem zunächst die Führungsmethoden überdacht und angepasst werden. Mitarbeiter sollten im Wandlungsprozess bereits konkret eingebunden werden und mitgestalten dürfen.

4. Change-Management-Konzept erarbeiten

Selbst eine agile Kanzlei wird nicht ohne Weiteres Veränderungen in den Kanzleiabläufen oder die Einführung von Dokumentenanalyse-Tools verankern können. Hierzu bedarf es, gerade bei großen Veränderungen, eines Change-Management-Konzepts. Das bedeutet, dass sich die Kanzleiführung intensiv damit befasst, wie Veränderungen innerhalb der Kanzlei optimal kommuniziert und implementiert werden. Klar ist, dass nicht jede Veränderung – besonders bei allen Mitarbeitern – positiv bewertet wird. Fehler in der Kommunikation können gleich zu Beginn zum Scheitern von Veränderungsprozessen führen. Und dies mit entsprechenden wirtschaftlichen Folgen.

Beispiel: Die Kanzleiführung möchte ein System zur digitalen Spracherkennung einführen. Sie teilt den Mitarbeitern den Start der Nutzung per E-Mail mit und gibt lediglich eine Anweisung, an einem bestimmten Termin der Einführungsveranstaltung beizuwohnen.

Bei dieser geringen Informationsweitergabe bleibt im Vorfeld zur Veranstaltung viel Spielraum für Spekulationen. Einige Mitarbeiter könnten die Befürchtung hegen, dass ihr Arbeitsplatz wegfällt oder sich zumindest deutlich verändern könnte. Die Folge: Mitarbeiter verweigern die Arbeit mit dem System, nutzen es nicht effizient und es kommt Unmut innerhalb der Mitarbeiterschaft auf, was die Produktivität der Kanzlei in Mitleidenschaft zieht.

Lassen Sie Ihre Mitarbeiter am Veränderungsprozess mitwirken

Besser wäre es, die Mitarbeiter in diesem Fall bereits frühzeitig persönlich in einer Bürobesprechung über die mögliche Einführung einer digitalen Spracherkennung zu informieren. Zudem ist es ratsam, die positiven Effekte zu erläutern und eine Diskussion über den Nutzen zuzulassen. Konstruktive Kritik darf in der agil handelnden Kanzlei immer angebracht werden. Die Kanzleiführung muss Widerstand (den es fast immer gibt) kanalisieren können, aufgreifen und offen und ehrlich beantworten. Erst dann werden Mitarbeiter Widerstände aufgeben oder zumindest eine Akzeptanz gegenüber Veränderungen zeigen. Wichtig ist die Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungs- und Einführungsprozessen.

Bei jeder Veränderung ist klar, dass sie Zeit braucht. Diese Zeit muss eingeplant werden. Mitarbeiter brauchen z. B. Schulungs- oder Weiterbildungszeit, die Arbeit mit neuen Systemen ist zu Anfang, bis eine Routine eintritt, immer zeitaufwendiger. Wird dies seitens der Kanzleiführung nicht berücksichtigt, kann es an dieser Stelle wieder Probleme in der Mitarbeiterführung geben. Im Rahmen des Change-Managements sollten daher nach vorab definierten Zeiträumen, z. B. nach zwei Wochen, im Rahmen einer Bürobesprechung positive wie negative Erfahrungen ausgetauscht werden (interne Audits). Die Mitarbeiter werden gehört, ihre noch bestehenden Ängste weiter abgebaut oder notwendige weitere Veränderungen vorgenommen.

Fazit: In Legal Tech stecken viele Chancen – Nutzen Sie diese!

Legal Tech wird die Arbeit in den Kanzleien deutlich verändern. Viele Veränderungen werden positive Effekte auf die tägliche Arbeit haben. Die agile Kanzlei wird die Veränderungen aufgreifen und gemeinsam mit allen Kanzleimitgliedern hierarchieübergreifend nach einem definierten Change-Management-Konzept implementieren und dadurch zur mehr Wirtschaftlichkeit der Kanzlei und zur Zufriedenheit aller Kanzleimitglieder beitragen. Voraussetzung  für derartige Veränderungen ist jedoch zuallererst eine positive Einstellung, Offenheit, etwas Geduld und Flexibilität. Legal Tech ist zunächst einmal weder gut noch schlecht, sondern neu. Nutzen Sie das Neue für sich!

Foto: Fotolia.com/fizkes
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Viviane Schrader ist Rechtsfachwirtin und zertifizierte Personalmanagerin (DAM). Zurzeit ist sie hauptberuflich Gesellschafterin der Tietje & Schrader oHG, Kanzlei-Consulting. Zu ihren Spezialgebieten gehören Kanzleiorganisation, Personalmanagement und Kommunikation. Schrader besitzt mehrjährige Berufserfahrungen als Rechtsfachwirtin und Bürovorsteherin einer großen Kanzlei. Sie ist Dozentin für Personalwirtschaft, Mandantenbetreuung und Prozessablaufoptimierung.

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