Konferenz der Berlin Legal Tech 2019 – Legal Tech in seiner ganzen Bandbreite

Von Bettina Taylor

Ob Blockchain, Design Thinking oder Datenschutz, auf der Konferenz der Berlin Legal Tech waren dieses Jahr alle wichtigen Themen, die Legal Tech ausmachen, vertreten. Durch eine Mischung aus knackigen Kurzvorträgen und kleinen Workshops kamen dabei sowohl die Theorie als auch die Praxis nicht zu kurz. In diesem Artikel geben wir einen kleinen Einblick in die Ideen und Themen der Konferenz vom 22.02.2019 als Abschluss des insgesamt dreitägigen Events.

DAV-Präsident leistet Kritik an Online-Rechtsportalen

Nachdem die Initiatoren Florian Glatz und Prof. Dr. Stephan Breidenbach sowie ein Vertreter des Gastgebers, der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Mazars, die Veranstaltung eröffneten, kam Ulrich Schellenberg, zu diesem Zeitpunkt noch Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), zu Wort. Immerhin sei es nicht selbstverständlich, dass er als Vertreter eines klassischen Berufsverbandes wie dem DAV vor einem Publikum spreche, das die Rechtsbranche durch Disruption verändern und modernisieren möchte. Er nutzte die Gelegenheit, um bei allem Legal Tech-Optimismus auch Kritik zu üben: „Gibt es Interessengegensätze zwischen der klassischen Anwaltschaft und Legal Tech-Vertretern?“, fragte er provokativ und beantwortete die Frage mit einem Jein: Legal Tech sei im Kanzleialltag angekommen. Deswegen sei es sinnvoll, darüber nachzudenken, ob eine Regulierung des Marktes notwendig sei. „Damit meine ich nicht, dass sich die klassischen Geschäftsmodelle der Anwaltschaft hinter Regulierungen verstecken sollen. Ich halte es eher für notwendig, Regulierungen im Sinne des Verbraucherschutzes zu etablieren.“ So herrsche bei Online-Rechtsdienstleistern wie Flightright eine bedenkenswerte „asymmetrische Kundenbeziehung“. Dennoch räumte Schellenberg ein: „Der Markt ist nicht aufzuhalten.“ Darum habe nun auch der DAV eine „Task Force Legal Tech“ gegründet.

Legal Tech und die Macht der Daten

Nach den Begrüßungen ging es in die Tiefe: Mit dem Thema „Datengetriebene Ökonomien und was sie für Anwälte bedeuten“ verdeutlichte Dr. Reka Solymosi, welche Rolle wissenschaftliche Datenanalyse im Bereich Legal Tech spielen kann. Die Dozentin der University of Manchester erklärte, wie Menschen im privaten Bereich Daten anhäuften und wie diese für  wissenschaftliche Untersuchungen nutzbar gemacht werden könnten – von Bildportalen wie Flickr bis hin zu Plattformen, auf denen man Joggingrouten veröffentlichen kann.

Systemfehler in der Justiz aufdecken

Wie können sich Juristen die „Welt der Daten“ nutzbar machen? Als Beispiel führte Solymosi ein Projekt auf, bei dem Verhörmethoden unter die Lupe genommen wurden, die an Opfern sexueller Gewalt bei Gerichtsprozessen angewendet wurden. Diese seien vor allem in den 50er- bis 60er-Jahren von fraglichen Methoden geprägt. Opfer mussten zum Beispiel intime Details über ihre sexuelle Orientierung preisgeben oder traumatische Erfahrungen im Detail nacherzählen. Die Wissenschaftlicher fanden über computergestützte Auswertungen unzähliger Prozessprotokolle heraus, dass sich diese umstrittenen Methoden in den letzten Jahrzehnten kaum verändert hatten, obwohl sie mittlerweile verboten sind – ein Systemfehler der Justiz, den man ohne die Hilfe von Daten nie so hätte belegen können.

Daten sind niemals neutral

Des Weiteren regte Solymosi dazu an, scheinbar neutrale Daten auch kritisch zu hinterfragen: Daten, die beispielsweise durch Crowdsourcing entstehen, würden fast immer nur von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe gesammelt: wohlhabender Mittelstand, weiß, männlich. Die Perspektive von Bevölkerungsgruppen, die sich in der Regel nicht an der Produktion von Daten beteiligten, würden daher ausgeblendet. Derartige Untersuchungen sind damit nicht die ganze Wahrheit, so Solymosi.

Anwälte müssen ihre „monkey jobs“ automatisieren

Clemens Koós, Investmentmanager bei signals Venture Capital und Rechtsanwalt rückte in seinem Slot die praktische Kanzleiarbeit in den Fokus: „Der Rechtsmarkt wächst, aber die größten Kanzleien sind in den letzten Jahren nur geringfügig gewachsen. Offenbar ist die Kohle da, aber wo ist das Wachstum?”, fragte er. Die Rechtsbranche würde sich in den nächsten Jahren durch datengetriebene Prozessautomatisierung radikal verändern. Nur Kanzleien, die repetitive Prozesse mithilfe von Software automatisierten, statt mit unzähligen Associates „billable hours“ abzurechnen (was viele Großkanzleien tun), würden eine Zukunft haben. Für ihn sei es unverständlich, warum man derartige „monkey jobs“ (zu Deutsch Affenaufgaben) nicht von Software erledigen ließe. Schließlich könne man die dadurch gewonnene Zeit in Beratung stecken. „Prozessautomatisierung verändert nicht nur das Berufsbild von Anwälten, sondern auch das was sie anbieten. Anwälte könnten dem Mandanten ergänzend zur Beratung eine skalierbare Software zur Verfügung stellen, die auf dessen Rahmenbedingungen zugeschnitten ist. Der Mandant gibt dort einfach seine Daten ein und die Software spuckt ihm beispielsweise einen fertigen Vertrag aus, erklärte Kóos seine Vision. Die Rechtsdienstleistung werde damit greifbarer und leichter zu beurteilen. „Der Rechtsanwalt sitzt nicht mehr im Elfenbeinturm und deswegen werden auch viele Kanzleien verschwinden“, prognostizierte er.

Vom textbasierten Vertrag zu Micro-Agreements

Danach hatte Lilian Breidenbach, Mitgründerin und Geschäftsführerin der Legal OS GmbH, das Wort. Die Anthropologin und Software-Entwicklerin trug mit ihrer Spezialisierung einiges zur Interdisziplinarität der Veranstaltung bei. Ihr Unternehmen ist darauf spezialisiert, intelligente Verträge zu entwickeln. Wie das funktioniert, erklärte sie mit dem Begriff „Micro-Agreements“ bzw. Mikro-Vereinbarungen. Aus ihnen setze sich letztlich ein Vertrag zusammen. Was wäre jedoch, wenn man diese textbasierten Informationseinheiten in Programme umwandeln könnte? In diesem Falle könnte man die Mikro-Vereinbarung als eine Art „Vertragsatom“ verstehen, das in seinem Inhalt jedoch nicht isoliert, sondern in Verbindung mit anderen Vertragsatomen existiere. „Intelligente Fäden“ könnten bestimmen, ob sich die unterschiedlichen Vertragsatome gegenseitig ausschlössen oder in einer bestimmten Häufigkeit miteinander auftraten.

Vertragsbaukasten als neues Geschäftsmodell

Wer diese Inhalte in eine Software implementieren könnte, habe viele Möglichkeiten. Verträge, die auf die beschriebene Weise entwickelt werden, seien zum Beispiel in Bezug auf ihre Compliance hochwertiger, so Lilian Breidenbach. Schließlich würden die intelligenten Vertragsatome von selbst erkennen, ob sie sich beispielsweise gegenseitig ausschlössen oder bedingten. Das Produkt, das man dem Mandanten letztlich zur Verfügung stelle, sei eine Art Vertragsbaukasten, in dem dessen individuelle Beschränkungen schon eingebaut sind. Die Rednerin erkannte in diesem Modell ein ganz neues Geschäftsfeld.

„Lego for Law“ – wie können Gesetze der Zukunft aussehen?

Aber was kommt nach den Baukästen? Diese Frage versuchte Prof. Dr. Breidenbach in seinem Vortrag „Digitale Produkte statt Rechtsberatung“ zu beantworten. Das zuvor beschriebene Baukasten-Prinzip bezeichnete er als „Lego for Law“. Für ihn steht fest: „Das Schicksal von Regeln ist Code.“ Anwälte hätten „lange Zeit gepennt“ und somit nicht gemerkt, was in Sachen Automatisierung alles möglich sei. Selbst Rechtsbegriffe, die viele Juristen noch als von Maschinen nicht verstehbar betrachteten, könnten mittlerweile in Code übersetzt werden. Diese Entwicklung bewertete er als positiv: „Der digitale Umbruch in der Rechtsberatung ist eine einmalige Chance, Prozesse und Regeln so zu bauen, wie wir es möchten.“ Anschließend definierte er vier Punkte, die juristische Regeln seiner Ansicht haben sollten, um zukunftsfähig zu sein:

  1. Juristische Regeln müssen visualisierbar sein.
  2. Bei der Entwicklung von Gesetzen muss die Beteiligung aller Betroffenen Gruppen gestärkt werden (z. B. Anwaltschaft, Bevölkerung).
  3. Gesetze müssen maschinenlesbar sein, also in Code übersetzt werden.
  4. Daten müssen für die Entwicklung von Gesetzen genutzt werden.

„In zehn Jahren sieht die Welt anders aus.“ Mit diesen Worten schloss Breidenbach seinen Vortrag ab.

Wie Legal Design Thinking das Jurastudium bereichern kann

Dann wechselte das Programm von Daten zu Legal Design Thinking. Design Thinking ist im Wesentlichen eine Methode, die bei der Entwicklung eines Produktes sowohl pragmatische als auch kreative Ansätze zusammenbringt. Der Ansatz hilft, aus der Sicht der relevanten Zielgruppe zu denken. So sollen bessere Angebote und Produkte entstehen und Innovationsprozesse besser in bestehende Arbeitsprozesse eingearbeitet werden.

Jurastudentin Dalia Moniat zeigte in ihrem Vortrag, wie Design Thinking genutzt werden könnte, um die Qualität des Jurastudiums zu verbessern. Sie kritisierte dabei, dass das Curriculum im Jurastudium wenig Raum für eigene Ideen ließe und sehr starr sei. „Um die Ausbildung zu verbessern, sollte man das Problem von unten angehen. Dazu muss man sich anschauen, in welcher Situation die Studierenden sind: Die meisten pauken von früh bis spät, haben aber oft trotzdem wenig Erfolg. Die allgemeine Zufriedenheit unter Jurastudierenden ist daher erschreckend schlecht. Oft geht es einfach nur darum, ‚das Studium durchzuziehen‘.“ Moniats Lösung: „Access to Justice“, eine Plattform, auf der Lernstoff visualisiert und damit leicht verständlich dargestellt wird. Des Weiteren soll die Plattform zum Austausch unter Studierenden anregen. „Nach dem Motto: geteiltes Wissen ist halbes Leid“, so Moniat. Bei der Entwicklung der Plattform nutzte sie Design Thinking-Methoden.

Interaktivität in Mini-Workshops

Gegen Mittag ging es zum interaktiven Teil der Konferenz, bei der sich die Teilnehmer in Mini-Workshops aufteilten. Sie hatten die Wahl zwischen Themen wie Smart Contracts, Entscheidungsautomatisierung, Strategieentwicklung oder Design Thinking. Nach der Mittagspause sprachen die Redner Nicolás Della Penna und Tianyu Yuan über Künstliche Intelligenz und wie diese für das Rechtssystem nutzbar gemacht werden könne. Mit Florian Glatz als Initiator der Veranstaltung durfte natürlich auch das Thema Blockchain nicht fehlen. Er sprach Use Cases der Blockchain-Technologie in der Filmindustrie an. Legal Tech-Unternehmer Daniel Halmer und Markus Drenger, Software-Entwickler und Netzpolitiker beim Chaos Computer Club, widmeten sich den Fragen sowie Chancen und Herausforderungen des digitalen Staates.

Noch viele Fragen offen

Zum Schluss durften außerdem die Teams der drei Gewinner des Legal Hackathons, der ebenfalls im Rahmen der Veranstaltung stattfand, ihre frisch gekürten Ideen und Projekte vorstellen. Insgesamt gaben die Blitzvorträge einen guten Überblick über die thematische Vielfalt von Legal Tech. Sie zeigten aber auch, dass noch viele Fragen offen sind und der Weg zur Digitalisierung der Rechtsbranche nach wie vor nicht einfach ist.

Noch mehr von der Berlin Legal Tech 2019

Unser Bericht zum Hackathon der Berlin Legal Tech 2019:

„Be excellent to each other!“ – Berlin Legal Tech Hackathon 2019

So war es auf den Workshops der Berlin Legal Tech 2019

Mehr Praxisbezug auf der Berlin Legal Tech 2019

Weitere Beiträge

Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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