Interview mit Richterscore.de: Bewertungsportal will mehr Transparenz im deutschen Rechtsstaat

Von Patrick Prior

Legal Tech besitzt in Deutschland mittlerweile eine große Bandbreite und besteht nicht nur aus Online-Marktplätzen für Rechtsdienstleistungen oder Vertragsanalysesoftware. Ein guter Beweis für die Vielfältigkeit von Legal Tech ist die Berliner Firma Richterscore.de. Worum es bei Richterscore geht und welche Erfahrungen bisher gemacht wurden, erfahren Sie in diesem Interview.

Herr Perlwitz, Sie haben zusammen mit einem Rechtsanwalt Richterscore.de 2016 gegründet. Was genau ist Richterscore?

Richterscore.de ist ein Vorhaben, das es der Rechtsanwaltschaft ermöglichen soll, sich anhand gesammelter Erfahrungen von Kollegen besser auf Gerichtsprozesse vorbereiten zu können. Es geht uns vor allem darum, dass die Infrastruktur für einen Erfahrungsaustausch zur Verfügung steht und ein sachlicher und objektiver Austausch unter Anwälten stattfinden kann. Unser Vorhaben richtet sich dabei ausschließlich an Rechtsanwälte. Wir wollen kein „allgemeines Beschwerdeforum“ oder „Meinungsportal“ für Bürger sein. Wir verstehen uns als professionelle Datenbank, die ein konkretes Problem aus dem Arbeitsalltag der Rechtsanwälte löst.

 Wie kamen Sie auf diese Idee?

Das Konzept und die Idee stammen maßgeblich von meinem Geschäftspartner, der schlichtweg ein eigenes Problem seines Anwaltsalltages lösen wollte und sich allgemein mit der Digitalisierung der Anwaltschaft befasst. Gerade jungen engagierten Anwälten ist eine ideale Vorbereitung auf Gerichtsprozesse sehr wichtig. Bislang konnte man höchstens seine Kollegen befragen oder auf kanzleiinterne Datensätze zugreifen. Jetzt sammelt Richterscore.de diese Erfahrungen und stellt sie zentral zur Verfügung. Hier könnte man reflexartig auch an die Prüfungsprotokolle denken, die ja seit Jahrzehnten gängige Praxis für Jurastudenten sind.

Welche Rechtsanwälte sollten sich unbedingt bei Richterscore anmelden?

Bei Richterscore.de sollte sich jeder Rechtsanwalt anmelden, der Prozesse führt und sich auf seinen Alltag gut vorbereiten möchte. Ein besonderes Interesse werden diejenigen Anwälte haben, die überregional prozessieren und immer wieder auf neue Richter  treffen. Aber auch für beratende Anwälte hat Richterscore.de eine Funktion. Gegenwärtig erheben wir strukturierte Informationen darüber, welche Entscheidungstendenzen an welchen Gerichten von Rechtsanwälten wahrgenommen werden. Richtungsweisende Angaben zu beispielsweise dem Verhältnis des LG Hamburg zum Medienrecht sind hierbei ja längst bekannt. Gleichwohl gibt es in anderen Rechtsgebieten ähnliche Tendenzen, die weniger bekannt sind. Genau diese Informationen sammeln wir. Auch vertragsgestaltende Anwälte können hiervon profitieren, wenn sie zum Beispiel den für ihren Mandanten besten Gerichtsstand für eine entsprechende Vereinbarung ermitteln wollen. Weitere Funktionen werden dazu beitragen können, dass Richterscore.de ein wichtiger Bestandteil des Anwaltsalltags werden wird.

An welcher Stelle findet eine Monetarisierung statt? Was kostet Richterscore?

Richterscore.de ist kostenlos. Wir haben keine Absicht, den gegenwärtig stattfindenden Austausch zu monetarisieren. Zwar kostet uns das Vorhaben jeden Monat Geld, allerdings sehen wir nicht, dass crowdsourcing-basierte Bewertungen und Kommentare mo- netarisiert werden sollten oder können.

Anders wird es sich verhalten, wenn wir einen Premium-Bereich geschaffen haben und auch weitergehende Strukturdaten zur Verfügung stellen können. Wir werden dort nicht nur unsere statischen Erhebungen zu den Entscheidungstendenzen anbieten. Wir haben auch vor, die frühere Rechtsprechung der Spruchkörper anzuzeigen und aus Entscheidungen abgeleitete statistische Erkenntnisse anzubieten. Abrufbar sind dann wertvolle Informationen, wie die durchschnittliche Verfahrensdauer eines konkreten Spruchkörpers, Wahrscheinlichkeiten in bestimmten Rechtsgebieten zu obsiegen oder zu verlieren, die Zitationshäufigkeit, die Begründungsdichte etc. Unter Umständen wird es hier eine Kooperation mit einer Urteilsdatenbank geben, so dass eine schnelle und strukturierte Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Prozesses gewährleistet ist.

Wie reagieren Richter auf die Seite? Gab es in der Vergangenheit Hürden, die Sie überwinden mussten?

Von Richtern bekommen wir zwar mehr Kritik als Lob. Aber vor allem junge und reflektierte Richter zeigen immer wieder, dass sie großes Interesse an Feedback zu ihrer Person und ihrer Prozessführung hätten. Sie halten einen zentralen Austausch zwischen Richtern und Rechtsanwälten jenseits des Gerichtssaals für sinnvoll. Mit diesem Zuspruch wollten wir schon zu Beginn unseres Vorhabens mit dem Richterbund in einen Dialog treten, damit unter Umständen ein Austauschkanal zwischen Richter- und Anwaltschaft über Richterscore.de entstehen könnte.

Und hier kommen wir zum zweiten Teil Ihrer Frage: Der Richterbund, maßgeblich vertreten durch seinen Präsidenten, Herrn Jens Gnisa, hat solche Gespräche mehrfach abgelehnt. Da eine Dialogbereitschaft nicht besteht, wird es insoweit auch keine Entwicklungszusammenarbeit geben. Herr Gnisa, hat uns kürzlich einen Abschnitt in seinem neuen Buch, „Ein Richter schlägt Alarm“, gewidmet. Dieses recht düstere Buch, zeigt ganz gut, wie ein Teil der Richterschaft auf Richterscore.de reagiert: allergisch. Die bisherigen Argumente, die von Herrn Gnisa genannt werden, sind aber wenig nachvollziehbar. Er schreibt in seinem Buch, dass Richterscore.de nur den „Ruf von Richtern schädigen“ könne, weil man sich einen solchen nicht aussuchen kann. Es sei anders als bei Anwälten, Schulen oder Hotels. Dabei vergisst Herr Gnisa so einiges. Eine Auswahl der Gerichte ist im Zivilprozess doch recht häufig möglich. Nicht nur die fliegende Gerichtsstände oder die Gerichtsstandsvereinbarungen, auch allgemein gibt es häufig mehr als nur ein zuständiges Gericht im Zivilprozess. Die Argumentation von Herrn Gnisa geht aber auch schon deswegen ins Leere, weil er per se eine Rufschädigung annimmt. Unsere Auswertung zeigt aber, dass die Mehrheit der Bewertungen ein Recht positives Bild für die Richter zeichnet. Wenn es mal Ausschläge nach unten gibt (und die gibt es), dann spricht aus unserer Sicht eher viel dafür, dass der Ruf einfach nicht gestimmt hat. Transparenz mag mitunter – und das ist für uns komplett verständlich – unangenehm sein, aber aus unserer Sicht muss ein Rechtsstaat unser Vorhaben aushalten.

Gibt es vergleichbare Webseiten im Web, möglicherweise auch in anderen Ländern?

In den USA gibt es Vergleichbares schon länger. Westlaw zum Beispiel – das amerikanische Juris – stellt neben der Urteilsdatenbank zahlreiche Informationen über die Richter zur Verfügung. Bewertungsportale gibt es dort ebenfalls schon lange. Eine recht neue Strömung sind die Ansätze, die unter den Stichworten „Judge Analytics“ oder „Legal Prediction“ fallen. Ravel Law oder Lex Machina sind erfolgreiche Start-Ups, die Urteile systematisch untersuchen und die Erkenntnisse zur Verfügung stellen. Mit einer gewissen Latenz ist das nun auch in Deutschland angekommen. 

Vielen Dank für das ausführliche Interview und weiterhin viel Erfolg.

Zur Person: Justus Perlwitz ist Softwareentwickler und Mitbegründer des Betreiberunternehmens von Richterscore.de, UG Advolytics in Berlin.

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Patrick Prior ist Jurist, Legal Tech-Experte und Inhaber der Legal Tech Software- und Beratungsfirma Advotisement®. Außerdem betreibt er das Legal Tech-Verzeichnis.

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