Bucerius Herbsttagung

„Hurra, die Kleinen wehren sich!“: Der Effekt von Massenverfahren auf den Rechtsmarkt

Von Nadia Neuendorf

Eindrücke von der Bucerius Herbsttagung 2018

Am 15.11. war es wieder soweit: An der Bucerius Law School, einer privaten Hochschule für Rechtswissenschaft in Hamburg fand bereits zum 8. Mal die Bucerius Herbsttagung des Bucerius Center on the Legal Profession (CLP) statt. Die Veranstaltung versteht sich selbst als Impulsgeber im Rechtsberatungsmarkt.
In diesem Jahr widmeten sich die Teilnehmer vor dem Hintergrund der neuen
Musterfeststellungsklage (MFK), die am 1.11. in Kraft getreten ist, dem Thema Massenkläger und Massenverfahren. Titel der Veranstaltung: „Attacke! Die Massenkläger kommen – Neue Herausforderungen für Unternehmen und ihre Rechtsberater“.
Wie gehen die einzelnen Player, von den Angreifern bzw. Klägern über Legal Techs und Finanzierer bis hin zu den Verteidigern, mit Massenverfahren um?

Von Angreifern und Verteidigern – Unterschiedliche Blickwinkel auf Massenverfahren

Nach der Begrüßung durch Markus Hartung und Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt (Direktorium CLP) kamen die verschiedenen Player im Massenverfahren zu Wort. Den Anfang machte Ralph Sauer, Geschäftsführer der Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Seine Kanzlei gehört zu den Angreifern der Industrie, denn sie vertritt Mandanten in Einzelverfahren die ohne MFK gegen VW klagen wollen. Dabei macht er sich die Gleichartigkeit der Fälle zunutze, um möglichst standardisiert und ohne zeitaufwendigen persönlichen Kontakt zum Mandanten eine große Menge an Fällen übernehmen zu können.

In Deutschland gehen vergleichsweise wenige Menschen, die vom Dieselskandal betroffen sind, gegen die Fahrzeughersteller vor. Von 2,5 Millionen Betroffenen sind etwa 40.000 an einer Klage gegen VW & Co. interessiert. In den USA sind dagegen 500.000 Menschen betroffen, von denen 475.000 eine Entschädigung eingefordert haben. Grund dafür seien aber auch die unterschiedlichen Voraussetzungen zur Durchsetzung einer Klage.

Auf Dr. Ralph Sauer folgte Dr. Sven Bode, Geschäftsführer der bekannten Plattform für Massenverfahren myRight. Er vergleicht die Zukunft der Massenverfahren mit dem Angebot von Amazon und Zalando. Der Mandant möchte einen schnellen, unkomplizierten Service, der vorher inhaltlich und preislich klar definiert ist und ohne großes Zutun seinerseits erledigt wird. Dr. Bode bezeichnete dies als „Konfliktdelegation als weiteres Angebot auf dem Markt“.

Der dritte Player in dieser Reihe, Thomas Kohlmeier, ist Mitgründer und Geschäftsführer der Nivalion AG, einem Prozessfinanzierer. Seine Branche zeige derzeit kein großes Interesse an Massenverfahren, da die Risikostruktur zu schlecht sei.

Mit Software „Herr“ über die Daten werden

Zu guter Letzt durfte auch die Seite der Verteidiger der Industrie nicht fehlen. Björn Frommer, geschäftsführender Partner bei WALDORF FROMMER, berichtete von den großen Datenmengen, die es zu bearbeiten gelte, wenn man ein großes Unternehmen wie VW vertritt. Um dieses Problem zu lösen, hat seine Kanzlei eine eigene Software zur „Document Categorisation“ entwickelt. Sie soll die Kategorisierung großer Datenmengen erleichtern, bestimmte Informationen im Dokument erkennen und es möglich machen, dem Mandaten alle Fragen gezielt beantworten zu können. Eine automatische Kategorisierung durch KI sei momentan aber noch nicht möglich, so Frommer.

Ein Miteineinander von Verbraucherschutz und Legal Tech

Anders als über den klassischen Weg mithilfe einer Anwaltskanzlei, ermöglicht die MFK auch Menschen ohne Rechtschutzversicherung zu ihrem Recht  zu kommen. Im großen Panel mit namhaften Teilnehmern aus Bundesregierung und Verbraucherschutz wurde über die Sinnhaftigkeit, Entwicklung und Zukunftsfähigkeit der MFK diskutiert. Der VW-Skandal habe den letzten Anstoß zum kollektiven Rechtsschutz gebracht und man sei mit der Lösung sehr zufrieden. Es sei wichtig, Verbraucher in ihren Rechten zu stärken. Daher sei es der richtige Schritt gewesen, neben den Angeboten verschiedener Legal Techs wie myRight, die eine Erfolgsprovision von 35 Prozent verlangen, Alternativen für diejenigen anzubieten, die eine Provision in dieser Höhe nicht zahlen wollen, so Dr. Johannes Fechner, Mitglied des Deutschen Bundestages und Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Auch Dr. Otmar Lell von der Verbraucherzentrale hält ein Miteinander von Verbraucherschutz und Legal Tech-Anbietern für sinnvoll. Mit einer schnellen Kompensation durch die MFK sei dennoch nicht zu rechnen, zumal es sich nicht um eine Leistungsklage handele, so Prof. Dr. Beate Czerwenka, Ministerialdrigentin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Trends und Startups im Rechtsmarkt

Zum Abschluss des Tages hatten die Besucher die Wahl zwischen einem Workshop zu den Trends im Rechtsmarkt, Startup Pitches, in denen Tools zur Erleichterung der Anwalts- und Steuerberaterarbeit vorgestellt wurden und einem „Deep Dive“, einer Vertiefung des Themas Massenverfahren.

Verleihung der Startup Pitch Awards

Die acht Startups, die ihre innovativen Ideen zur Digitalisierung und Effizienzsteigerung der anwaltlichen Praxis in anschaulichen Vorträgen präsentierten, wurden live von allen Zuhörern durch eine Online-Punktevergabe in Hinblick auf Idee und Vortrag bewertet, sodass am Ende des Tages der Startup Pitch Award verliehen werden konnte. Sieger gab es gleich zwei: SmashDOCs – eine webbasierte Textverarbeitung und damit eine smarte Alternative zu Word – und thingsThinking, einer semantischen Plattform, die nach eigenen Aussagen „den gesunde Menschenverstand für Computer“ liefert. Konkret bedeutet das, Computern zu befähigen, die Bedeutung von Sätzen unabhängig von ihrer Formulierung und Sprache zu verstehen und ein semantisches Modell zu extrahieren.

Verbraucherschutz und neue Geschäftsmodelle

„Hurra, die Kleinen wehren sich!“, so fasst Dr. Sven Bode den Effekt der Musterfeststellungsklage und anderer Kollektivklagen zusammen. Und auch der generelle Blick auf Sammelklagen scheint immer positiver zu werden, auch wenn auf Seiten der Verbraucher noch Informationsbedarf besteht.
Den Kanzleien bieten sich im Hinblick auf diese zahlreichen, gleichgearteten Fälle, besonders in Kombination mit Legal Tech-Tools, viele neue Möglichkeiten abseits der klassischen Mandatsarbeit.

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Nadia Neuendorf arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Thema Legal Tech. ffi-verlag.de

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