Legal Tech-Umfrage

Von der Großkanzlei bis hin zum Einzelanwalt – so geht Deutschlands Anwaltschaft mit Legal Tech und Digitalisierung um

Ergebnisse der großen Legal Tech-Umfrage 2020 im Überblick

Von Nadia Neuendorf

Die Digitalisierung spielt eine immer größere Rolle im Kanzleialltag, angefangen beim Einzelanwalt bis hin zur Großkanzlei. Doch wie sieht die Realität in deutschen Anwaltskanzleien aktuell aus? Wie blicken Anwältinnen und Anwälte auf den Markt? Werden neue Lösungen genutzt und die eigenen Arbeitsweisen verändert? Wo sehen Anwältinnen und Anwälte Herausforderungen und Chancen?

Mithilfe der großen Legal Tech-Umfrage wollten wir diese und weitere Fragen beantworten. Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick:

Infos zur Umfrage

Befragungszeitraum: Oktober bis Dezember 2019.

Die Befragten: Die rund 300 Teilnehmer/-innen der Umfrage aller Altersstufen sind zu 34 %  als Volljuristen in einer kleinen Kanzlei beschäftigt, 26 % arbeiten als Einzelanwalt bzw. Einzelanwältin, 10 % arbeiten in einer Großkanzlei und 6 % in einer mittelgroßen Kanzlei (2 bis 14 Berufsträger/-innen). 12 % sind als Unternehmensjuristinnen bzw. -juristen tätig.

IT-Kompetenz ist gefragt

Wo sehen Anwältinnen und Anwälte die größten Herausforderungen im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung? Die größten Herausforderungen sehen Juristinnen und Juristen über alle Kanzleigrößen hinweg tatsächlich in den wachsenden Anforderungen an ihre IT-Kompetenz (68 %). Aber auch die Flut an Neuerungen im Bereich Digitalisierung und die damit verbundenen Schwierigkeiten, einen Überblick über alle Entwicklungen zu behalten, stellt für die Mehrheit eine Herausforderung dar (55 %). Wurde die Entscheidung, die eigenen Kanzleiprozesse umzustellen, bereits getroffen, stellt die Transformation selbst für 46 % ebenso eine große Herausforderung dar. Die betroffenen Umfrageteilnehmer/-innen müssen eine ganze Menge an Fragen klären: Wo fängt man bei Digitalisierung und Legal Tech an und wie gelingt die Umstellung reibungslos und effizient?
Auch der gestiegene Serviceanspruch der Mandanten stellt die Anwaltschaft vor neue Aufgaben. So bieten beispielsweise viele Online-Portale 24-Stunden-Erreichbarkeit, was der (Einzel-)Anwalt bzw. die Anwältin oft nicht leisten kann. Hier gilt es, die passenden Lösungen für die sich wandelnden Bedürfnisse der Mandanten zu finden.

Optimierungsanspruch und Wettbewerbsdruck als Treiber Nummer Eins

Doch warum beschäftigt man sich überhaupt mit Legal Tech? Welche Motivation steckt dahinter? Das Streben nach Effizienz und kostengünstigerem Arbeiten ist für zwei Drittel der ausschlaggebende Faktor. 56 % geben an, dass sie Legal Tech nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 54 % sehen nicht (nur) den äußeren Druck als Anlass, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, sondern das eigene Interesse an Innovationen. Immer hin noch fast jeder Zweite (48 %) hat den Anspruch, die Qualität ihrer Arbeit weiter zu steigern. Nur für 19 % ist der Wunsch, eigene Rechtsprodukte anbieten zu können, der Antrieb, sich mit Legal Tech auseinanderzusetzen.

Welche Legal Tech-Lösungen kommen in Kanzleien heute schon zum Einsatz? Abgesehen von Kanzleisoftware und juristischen Datenbanken ist mittlerweile auch die E-Akte recht etabliert in deutschen Kanzleien. Knapp über die Hälfte (53 %) der Befragten nutzt diese bereits. Etwas weniger, 43 %, nutzen das digitale Diktat. Doch wie sieht es bei Legal Tech-Angeboten der neuen Generation aus? Hier scheint sich vor allem das moderne Marketing über Online-Plattformen immer größerer Beliebtheit zu erfreuen. 32 % gaben an, über Anwaltsmarktplätze neue Mandanten zu akquirieren.
Daneben steigt die Zahl der Anwender intelligenter Software zur Dokumentenerstellung. 24 % nutzen eine solche bereits und 48 % möchten diese zumindest in den nächsten Jahren einführen. 17 % nutzen Software zur automatischen Dokumentenanalyse, z. B. zum Erfassen fehlerhafter Klauseln in Verträgen, 35 % planen, zukünftig in eine solche Software zu investieren. Ebenso nutzen 17 % individuell für ihre Kanzlei erstellte Legal Tech-Lösungen. Das ist vor allem in Großkanzleien der Fall: Hier geben 29 % an, bereits in eine individuelle Softwarelösung investiert zu haben.
An den wenigsten Umfrageteilnehmer/-innen scheint Legal Tech aber komplett vorbei gegangen zu sein: Nur 18 % aller Befragten gaben an, bisher keinerlei Investitionen in Sachen Legal Tech getätigt zu haben.
In Großkanzleien, gibt es nicht nur die meisten Individual-Lösungen, hier wird auch am häufigsten in Legal Tech investiert. Nur 6 % der befragten Anwältinnen und Anwälte aus Großkanzleien geben an, dass in ihrer Kanzlei noch keine Investitionen in Sachen Legal Tech erfolgt seien. Bei den Volljuristen in kleinen Kanzleien trifft dies sogar nur auf 4 % zu. Am zurückhaltendsten zeigen sich die Einzelanwälte: Aus dieser Gruppe geben 20 % an, dass bisher keine entsprechende Investition erfolgt sei.

Legal Tech zur Automatisierung von Routineaufgaben

In welchem Bereich steckt das größte Optimierungspotenzial durch die Nutzung von Legal Tech? Fast jeder Zweite wünscht sich vor allem im Bereich der Dokumentenerstellung, z. B. bei der Erstellung von Verträgen und Schriftsätzen, eine Entlastung (47 %). Auch im Bereich der Kommunikation, sei es mit Mandanten, Behörden und Gerichten, sieht ein knappes Drittel wesentliches Verbesserungspotenzial (30 %). 26 % wünschen sich eine Entlastung des Sekretariats. Den geringsten Bedarf an digitalen Lösungen sieht man im Bereich der Sachverhaltserfassung (15 %) und bei der Personal- und Jobsuche (7 %).

Das größte Optimierungspotenzial aus der Sicht von …

  • Großkanzleien: Dokumentenerstellung (45 %) und Dokumentenanalyse (41 %)
  • mittelgroßen Kanzleien: Kanzleisoftware bzw. Schnittstellen zu neuen Tools (53 %) und im Bereich der Kommunikation (47 %)
  • kleinen Kanzleien: im Bereich der Kommunikation (51 %) und zur Entlastung des Sekretariats (49 %)
  • Einzelanwältinnen und -anwälten: Dokumentenerstellung (53 %) und im Bereich Kommunikation (49 %)
  • Unternehmensjuristinnen und -juristen: Dokumentenerstellung (42 %) und bei der Dokumentenanalyse (39 %)
  • Studenten und Referendaren: Datenbanken/Informationsbeschaffung (38 %) und im Bereich Kommunikation (27 %)

Über die Hälfte fühlt sich gut über das Thema Legal Tech informiert

Wie bereits erwähnt, fällt es immer schwerer, alle relevanten Entwicklungen des Legal Tech-Marktes im Blick zu haben. Wie gut fühlen sich Anwältinnen und Anwälte also über Legal Tech informiert? 45 % fühlen sich einigermaßen gut informiert, 15 % sogar sehr gut. Doch ganze 40 % der Anwaltschaft fühlen sich nur oberflächlich oder gar nicht informiert. Als am besten informiert stufen sich die 30- bis 40-Jährigen ein. Von diesen geben 23 % an, sogar sehr gut über das Thema Legal Tech Bescheid zu wissen. Als am wenigsten gut informiert schätzen sich die unter 30-Jährigen ein. Die Annahme, dass jüngere Generationen als „digital Natives“ einen stärkeren Bezug zu Digitalisierung und Legal Tech haben könnten, kann hier widerlegt werden. Als Jurist/-innen in Ausbildung scheinen diese noch stark mit Studieninhalten beschäftigt zu sein.

Potenzial erkannt: Zwei von drei Anwälten sehen Legal Tech als Chance

Legal Tech als Chance oder Gefahr? Was überwiegt? Die Sorge, dass Legal Tech Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – zumindest in Teilen – überflüssig macht und sich als Konkurrenzangebot zur klassischen Rechtsberatung entwickelt oder der Nutzen in Sachen Effizienzsteigerung und Arbeitserleichterung? Eindeutig Zweiteres: 65 % der Anwältinnen und Anwälte sind überzeugt, dass Legal Tech mehr Chance als Gefahr bedeutet. Am optimistischsten zeigen sich die Juristinnen und Juristen in mittelgroßen Kanzleien. Sie sehen Legal Tech sogar zu 83 % als Chance. Einzelanwälte und Juristinnen in kleinen Kanzleien stimmen dem zu 59 % zu.

Fazit: Legal Tech entlastet, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich

In den letzten zwei Jahren hat sich im Bereich Legal Tech einiges getan. Immer mehr Anwältinnen und Anwälte setzen sich mit der Digitalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen auseinander. Fraglich ist derzeit wohl noch, wie Juristinnen und Juristen ihr IT-Wissen erweitern können, und ob dies überhaupt der richtige Ansatz ist, um die Digitalisierung erfolgreich zu bewältigen. Aber auch der Transformationsprozess selbst bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich und gelingt meistens nicht „nebenbei“. Hier fehlt der einen oder anderen Kanzlei bislang der entscheidende Ansatzpunkt für die effektive Modernisierung.

Generationsübergreifend zeigen sich allerdings kaum unterschiedliche Einstellungen oder Nutzungsweisen in Sachen Legal Tech. Von zentraler Bedeutung ist für alle der Wunsch nach größerer Effektivität und die Arbeitserleichterung bei Routineaufgaben, um die wachsenden Datenmengen auch in Zukunft bewältigen und mehr Zeit für die Bearbeitung komplexer Sachverhalte aufbringen zu können.

Foto: Adobe Stock/Coloures-Pic
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Nadia Neuendorf arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Thema Legal Tech. ffi-verlag.de

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