Smartlaw OLG

Legal Tech-Land ist doch nicht abgebrannt – ein Kommentar von Tom Braegelmann zum Smartlaw-Urteil des OLG Köln

Von Tom Braegelmann

Anmerkung zum Smartlaw-Urteil des OLG Köln vom 19. Juni 2020, Az.6 U 263/19

Der Vertragsgenerator Smartlaw ist doch erlaubt, denn das OLG Köln hat das Urteil des LG Köln gegen Smartlaw aufgehoben, allerdings darf Smartlaw nicht mehr in der Werbung so tun, als sei Smartlaw eine Rechtsanwältin.

Dreht man den vom OLG Köln nun abgewiesenen Klageantrag der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg um, dann ist es Wolters Kluwer/Smartlaw als Anbieterin jetzt erlaubt,

„geschäftlich handelnd, entgeltlich und selbstständig Dritten gegenüber ohne entsprechende Erlaubnis außergerichtlich Rechtsdienstleistungen zu erbringen, anzubieten und/oder zu bewerben, indem sie für Dritte durch einen digitalen Rechtsdokumentengenerator auf Grundlage eines Frage-Antwort-Systems aus einer Sammlung alternativer Textbausteine individuelle Rechtsdokumente erstellt.”

Das ist doch mal eine Ansage:

Legal Tech-Land kann aufatmen: Es droht keine Gefahr durch Rechtsdokumentengeneratoren, man darf sie betreiben, ohne Anwalt zu sein

Die Anwaltschaft kann sich die berufsrechtlichen Haare raufen: Es droht Gefahr durch Rechtsdokumentengeneratoren, soweit diese der Anwaltschaft Arbeit und Mandate abnehmen (die vielleicht nie wieder zurückkehren, solange die Kunden zufrieden sind und bleiben).

Das OLG-Urteil wird weithin rechtswissenschaftlich untersucht und dem BGH (und vielleicht dem BVerfG) vorgelegt werden. Es wird sich zeigen, ob retrospektive Rechtsprechung das Verhältnis der durch ein gesetzliches Monopol geschützten anwaltlichen Rechtsberatung zu den aufkommenden Legal Tech-Angeboten überzeugend bestimmen kann. Meine Vermutung ist: Die Gerichte werden es wacker versuchen, aber keinen Rechtsfrieden schaffen können, weil die sogenannte Digitalisierung nicht nur den Anwaltsberuf und das Rechtsberatungsmonopol transformiert, sondern auch den Rechtsberatungsbedarf und das Nutzungsverhalten der Mandanten, denn die konsumieren Rechtsrat heute anders als früher.

Was aber der Zugang zum Recht – verfassungsrechtlich garantiert – heutzutage effektiv (nicht unbedingt dogmatisch) sein muss und wer diesen Zugang tatsächlich und tagtäglich gewährt (der Anwalt im Bahnhofsviertel? Die Legal Tech-Website nachts um 2 Uhr morgens?), kann eigentlich nur der Gesetzgeber (vorausschauend, sich immer wieder korrigierend) regeln, weil dazu alle angehört werden müssen: also alle Bürger, ob nun als Verbraucher, Unternehmer, Privatmensch, soziales Wesen etc., und eben nicht nur die Vertreter der traditionellen (oder doch modernen?) Anwaltschaft und der modernen (oder doch nur die Digitalrendite/Digitalitätsrente frühzeitig einstreichenden) Legal Tech-Unternehmen.

Wenn der BGH in dem vorliegenden Smartlaw-Fall am Ende eine weitreichende Entscheidung zum Thema Anwaltsmonopol/Legal Tech trifft, dann ist klar: Wirklich gehört wurden zu diesem rechtspolitischen Riesenthema im Prozess nur der Verlag Wolters Kluwer und die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg (und deren Anwälte und Gutachter), denn nur diese waren Parteien des Verfahrens. Da das deutsche Zivilprozessrecht keinen Amicus Brief wie in den USA kennt, mit dem die Zivilgesellschaft einem Gericht Sachverhalt und Rechtsargumentationen vorlegen kann, welche die Parteien nicht vorbringen können oder wollen (oder welche die Parteien tunlich verschweigen wollen …), konnten andere Vertreter, ob nun Verbraucherschützer, Rechtsschutzversicherungen, Unternehmensverbände etc. ihre vielleicht verfassungsrechtlich total relevanten Argumente nicht dem Gericht auf den konkreten Fall bezogen zur Kenntnis bringen, jedenfalls nicht aktenkundig. Aber die verfassungs- und berufsrechtliche Seite können andere en détail besser auseinanderklamüsern als ich.

Mir geht es hier nur um einige einzelne Sätze, die mir – als Anmerkungen eines OLG-Köln-Urteile-Lesenden Anwalts, nachdem ich das Urteil ein paar Mal gelesen habe, aufgefallen sind. Diese möchte ich im Folgenden zitieren und dazu eine Frage stellen – hoffentlich findet die Leserschaft das anregend und nützlich:

  • „Das Programm läuft – für den Anwender erkennbar – nach einer festgelegten Routine in einem Frage-/Antwortschema ab, mit dem ein Sachverhalt in ein vorgegebenes Raster eingefügt wird. Dies stellt unabhängig von der Anzahl der Fragen, der insoweit vom Programm geleisteten Hilfestellungen und der Individualität des schließlich erstellten Rechtsdokumentes keine Rechtsprüfung dar.”

    Frage:
    Wäre das anders, wenn Menschen nach einer festgelegten Routine in einem Frage-/Antwortschema einen Sachverhalt in ein final vorgegebenes Raster einfügen, z. B. in ein Excel-Sheet? Ist das dann auch keine Rechtsprüfung? Oder müsste man annehmen, wenn ein Mensch involviert wird, roboterhaft trainiert wie in einem Call Center, dass dieser immer – als wankelmütiges, ablenkbares und unwillkürlich nachdenkendes Wesen – etwas über den Tellerrand hinausschaut und doch versehentlich etwas zumindest „anprüft/ansubsumiert“?
  • Angesichts der immer weiter zunehmenden Verrechtlichung des alltäglichen Lebens und der ständigen Entwicklung neuer Dienstleistungsberufe muss der Verbotsbereich des Gesetzes auf Fälle echter Rechtsanwendung beschränkt werden.”

    Frage: Warum? Kann ja sein, aber warum denn? Ich finde die Begründung dafür, dass „die zunehmende Verrechtlichung des alltäglichen Lebens”, also eine tatsächliche Entwicklung, den Anwendungsbereich eines Gesetzes reduzieren soll nicht ganz im Urteil wieder. Gab es denn bei Erlass des RDG noch keine „zunehmende Verrechtlichung des alltäglichen Lebens” – wohl doch …
    Vermutlich könnte man auch im Schutt der Amtsgerichtsbibliothek von Ninive schon Tontafeln in Keilschrift finden, auf denen vor Jahrtausenden über die „zunehmende Verrechtlichung des alltäglichen Lebens” geklagt wurde. Und warum auch nicht, es gibt ja wohl eine „zunehmende Verrechtlichung des alltäglichen Lebens”. Doch überzeugt es, wenn ein Gericht in einem Urteil einfach behauptet, dass es eine „zunehmende Verrechtlichung des alltäglichen Lebens” gibt, ohne das zu belegen, wenn es anhand dieser Feststellung dann den ganzen Anwendungsbereich eines Gesetzes einschränkt? Ist das so offenkundig, dass das daraus folgt? Wird nicht im Gegenzug zur „zunehmenden Verrechtlichung des alltäglichen Lebens” das Recht immer mehr ignoriert? Beispiel: Der aktuelle Wirecard-Fall konnte jedenfalls von einem Korallenriff aus Aufsichtsrecht, Compliance-Anstrengungen und Corporate Governance Codex jahrelang nicht verhindert werden – etliche Prüfer konnten nicht feststellen, dass Treuhandkonten in Milliardenhöhe nicht existierten. Erst als jemand, ein Journalist, einmal richtig nachschaute … Ein großer Erfolg der „zunehmenden Verrechtlichung des alltäglichen Lebens” ist das nicht.
    Und was ist „echte” Rechtsanwendung? Gibt es unechte Rechtsanwendung? Das Gericht verrät es nicht. Das überzeugt mich dann auch nicht: Woran soll man sehen, wann eine echte Rechtsanwendung vorliegt? Doch wohl kaum nach dem Test „I know it when I see it” von U.S. Supreme Court Richter Potter Stewart. Es bleibt also unklar, was echte Rechtsanwendung sein soll.
    Man sieht, nicht nur dass RDG führt zu begrifflichen Schwierigkeiten, sondern dessen echte (oder unechte?) Anwendung. Heute schon echt Recht angewandt?
  • „Damit scheiden zunächst alle Lebensvorgänge aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus, die ohne jede rechtliche Prüfung auskommen, weil sie nach Inhalt, Formen und Rechtsfolgen jedermann derart vertraut sind, dass sie nicht als \'rechtliche\' Lebensvorgänge empfunden werden.”

    Frage: Was sind „rechtliche Lebensvorgänge”? Für Volljurist/innen sind, als deformation professionelle, oft alle Lebensvorgänge rechtlich … das kann also nicht der Maßstab sein. Und: Kann man diese Aussage auch auf spezifische Sach- und Rechtsgebiete anwenden? Man könnte ja sagen, dass z. B. erfahrene Geschäftsführer einer GmbH oder eine Branche mit dem Inhalt, den Formen und Rechtsfolgen des GmbH-Rechtes oder des Branchenrechtes (E-Commerce, Gemüsehandel, Zahnimplantate etc.), derart vertraut sind, dass dann die Anwendung des GmbH-Gesetzes (oder des branchenspezifischen Rechtes) zumindest für diese Jedermann-Geschäftsführer etc. nicht mehr als „rechtliche” Lebensvorgänge empfunden werden? Dürfen diese Jedermann-Geschäftsführer dann einen Dokumentengenerator für Shareholder Agreements oder Anmeldungen von Zahnimplantaten als Medizinprodukt betreiben, wenn ihnen das leicht von der Hand geht? Wie stellt man fest, dass gewisse Lebensvorgänge ohne jede rechtliche Prüfung auskommen, nur weil sie nicht als rechtliche Lebensvorgänge empfunden werden? Kann es denn hier auf ein Empfinden ankommen? Wessen Empfinden? Das ist doch sehr subjektiv, und vermutlich bezogen auf Rechtsuchende, die im Internet nach echtem (sic!) Rechtsrat suchen, oder eben nur nach einem Vertragsgenerator, vermutlich sehr unterschiedlich.
  • „An einer Rechtsdienstleistung im Sinn des RDG-Entwurfs fehlt es darüber hinaus auch, wenn eine Handlung – wie letztlich jeder wirtschaftliche Vorgang – zwar die Kenntnis und Anwendung von Rechtsnormen erfordert, die Subsumtion unter juristische Begriffe und Tatbestände aber auch für juristische Laien so selbstverständlich ist, dass die Rechtsanwendung kein besonderes rechtliches Wissen voraussetzt. Erforderlich für die Anwendung des Gesetzes ist somit stets die Notwendigkeit eines spezifisch juristischen Subsumtionsvorgangs auf Seiten des Dienstleistenden.”

    Frage: Was ist ein „spezifisch juristischer Subsumtionsvorgang”? Was Jurist/innen einmal betrachten, wird früher oder später spezifisch juristisch subsumiert und dann ins RDG gehievt? Aus wessen Sichtweise ist das zu beurteilen? Volljurist/innen leiden ja manchmal darunter, dass sie eigentlich jeden Sachverhalt unter irgendeine Norm subsumieren können, wenn man sie nur lässt. Give me the facts, I will give you the law. Wann ist dies nicht spezifisch juristisch? Auch hier wieder: Auf welche juristischen Laien kommt es an? Es gibt juristische Laien, die so viel Erfahrung haben, dass sie recht komplizierte Sachverhalte korrekt anwenden. Andere glückliche juristische Laien gehen traumwandlerisch durchs Leben und agieren immer rechtmäßig, einfach so – das soll vorkommen.
  •  „Warum das Verbot von Dokumentengeneratoren zu einem verbesserten Schutz der Rechtssuchenden führen soll, bleibt unklar.”

    Frage: Woher soll ein juristischer Laie, ein Verbraucher, ein nicht juristisch erfahrener Mandant, der einen Dokumentengenerator im Internet gefunden hat, beurteilen können, ob dieser korrekt arbeitet? Kann man das dann an der Bewertung auf Google sehen? An Berichten ehemaliger Kunden auf der Website des Dokumentengeneratoranbieters? Es stimmt schon, einfach alle Dokumentengeneratoren zu verbieten, ist nicht sinnvoll, denn es hängt in Wahrheit doch von der konkreten Ausgestaltung und Güte eines solchen Dokumentengenerators ab, ob er die Rechtsuchenden richtig oder fehlerhaft bedient. Könnte man also nicht sagen: „Das Verbot von mangelhaften Dokumentengeneratoren führt zu einem verbesserten Schutz der Rechtssuchenden”  Die Frage ist nur, wer so einen Mangel feststellt? Eine Art Rechtsdokumentengenerator-TÜV? Wir haben eine neue Aufgabe für den TÜV Süd gefunden …
    Der Vergleich zu Formularbüchern geht irgendwie fehl, diese werden vielleicht doch nicht so schnell angesteuert und massenhaft angewandt wie Online-Dokumentgeneratoren … und wenn sie nicht gut sind, verstauben sie im Regal, ohne Update.
  • „[E]in rein logisch-schematisch ablaufender Übertragungsvorgang genügt (...) gleichwohl nicht für die erforderliche objektive Rechtsprüfung im Rahmen eines Subsumtionsvorganges”

    Frage: Was dem einen logisch-schematisch vorkommt, findet der andere vielleicht schon kreativ oder unlogisch; oder zwar simpel, aber anstrengend. Kann man das wirklich objektiv beurteilen, was was ist? Zeige mir einen „logisch-schematisch ablaufenden Übertragungsvorgang” und ich sage dir, welche juristische Auslegungsmethode deine Lieblingsmethode ist.
  • „Der Dokumentengenerator ist eine Auswahlhilfe für rechtlich vorgeprägte, aber in der Sache prüfneutrale Entscheidungen”

    Frage: Wirklich, was sind „prüfneutrale Entscheidungen”? Da wüsste man gerne mehr zu, weil man damit ja anscheinend aus dem Anwendungsbereich des RDG hinauskommt. Das Gericht begründet aber irgendwie nicht so recht ,was das sein soll. Wir wollen hoffen, dass auch Anwält/innen nur selten „prüfneutrale” Gutachten gegen gutes Honorar an treuherzige Mandanten liefern.
  • „\'Tätigkeit\' meint eine menschliche oder zumindest mitdenkende Aktivität. [Dazu ist] ein juristischer Subsumtionsvorgang auf Seiten des Dienstleistenden notwendig (...), der (...) über die bloße Anwendung von Rechtsnormen auf einen Sachverhalt hinausgehen muss. Ein solcher mehr als rein schematisch ablaufender Subsumtionsvorgang ist bei einem einfachen IT-Programm der vorliegenden Art, das schematisch vorgegebene Ja-/Nein-Entscheidungsstrukturen abarbeitet, nicht gegeben. Ob eine Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG beim Einsatz sog. künstlicher Intelligenz in Betracht kommt, kann dahinstehen.”

    Frage: Warum erwähnt das Gericht hier überhaupt Künstliche Intelligenz, ohne sie zu definieren oder zu problematisieren? Hält man sich einfach eine Tür offen für spätere Entscheidungen? Man weiß es nicht. Das Gericht fand aber offenkundig, dass Smartlaw keine KI einsetzt, sonst könnte das ja nicht „dahinstehen”. Künstliche Intelligenz als Begriff ist zwar beliebt und scheinbar anschaulich, hat aber auch seine Mucken und ist amorph: (siehe dazu einführend Kaulartz/Braegelmann (Hrsg.), Rechtshandbuch Artificial Intelligence und Machine Learning, 2020)

Fazit – Das Urteil zeigt: Vereinbarkeit von moderner Technik und Recht häufig schwierig

Die Entscheidung ist ausführlich und wohlbegründet – auch wenn ich oben etwas unfair einige Sätze herausgeklaubt habe – und sie liest sich auch gut, doch doch. Die Smartlaw-Entscheidungen sollten an den Unis Pflichtlektüre werden: Nicht nur zum Berufsrecht sondern auch, um den Studierenden nahezubringen, wie schwierig es für Gerichte ist, moderne Technik mit Urteilen zu erfassen und rechtlich einzuordnen. Ob der Smartlaw-Fall bereits dafür taugt, schon jetzt Richterrecht zum Verhältnis zwischen Anwaltschaft und Legal Tech zu schaffen, ist fraglich: Es sollten alle Stimmen gehört werden, nicht nur die um den gleichen Gebührenkuchen (Honorarkuchen?) kämpfende Anwaltschaft und Legal Tech-Szene, sondern auch die, die Rechtsrat nun einmal schnell, effizient und kostengünstig (und: richtig) benötigen.

Zum Kommentar von Tom Braegelmann zum Smartlaw-Urteil des LG Köln 2019

Foto: © Adobe Stock/Andrey Popov
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Tom Braegelmann ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Annerton. Er ist ein international erfahrener Insolvenz- und Restrukturierungsexperte, war zuvor für namhafte Wirtschaftskanzleien tätig und ist sowohl in Deutschland als auch in den USA als Anwalt zugelassen. Als Anwalt mit Schwerpunkt auf Bankruptcy Law/Insolvenz- und Urheberrecht war er über drei Jahre in New York tätig. Tom Braegelmann ist bestens vertraut mit den neuesten technologischen juristischen Entwicklungen, insbesondere mit der Digitalisierung des Wirtschafts-, Restrukturierungs- und Insolvenzrechts. Darüber hinaus hat er als weiteren Schwerpunkt seiner Beratung moderne digitale Geschäftsmodelle.

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