Fristenkontrolle

Der elektronische Fristenkalender: Erfährt die Digitalisierung der Anwaltskanzlei einen Showstopper durch BGH-Entscheidung?

Von Dr. Christina-Maria Leeb & Katherine Kitur

Nicht nur mit Blick auf die zukünftige aktive Nutzungspflicht des beA steigen immer mehr Kanzleien auf die elektronische Aktenführung um. Eine vollelektronische Aktenführung scheidet in der Praxis jedoch bisweilen häufig noch immer zugunsten einer hybriden aus. Hintergrund ist der Fristenkalender. Diesen rein elektronisch und damit sinnvollerweise ohne Papier führen zu können, ist aufgrund der Rechtsprechung des BGH gegenwärtig nicht möglich. Dies verdeutlicht eine kürzlich ergangene Entscheidung des Gerichtshofs in einem Wiedereinsetzungsverfahren nach §§ 233 ff. ZPO.

BGH: Keine Fristenkontrolle ohne Papierausdruck

Dem Beschluss vom 28. Februar 2019 – III ZB 96/18 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Mitarbeiterin des betroffenen Rechtsanwalts hat die korrekte Berufungsbegründungsfrist mitsamt Vorfrist in die Handakte eingetragen und dort die Eintragung in den elektronischen Fristenkalender mit ihrem Namenskürzel bestätigt. Bei der anschließenden Übertragung der beiden Fristen in den elektronischen Fristenkalender hatte sie jedoch vergessen, die erfolgten Eintragungen auch abzuspeichern.

Nach Auffassung des betroffenen Rechtsanwalts sei ihm mangels Organisationsverschuldens keine verschuldete Fristversäumnis anzulasten. So dürfe eine Abzeichnung mit Namenskürzel in der Akte nach den internen Vorgaben in der Kanzlei nur dann erfolgen, wenn die Frist ordnungsgemäß im elektronischen Kalender gespeichert worden sei. Außerdem werde programmseitig eine Fehlerkontrolle durch das automatisierte Auslesen aller zur Akte gespeicherten Fristen durchgeführt. Beide Maßnahmen seien ausreichend, um potenzielle Fehlerquellen zu entdecken und zu berichtigen.

Dem ist das Berufungsgericht – und in der Folge auch der BGH – jedoch nicht gefolgt. Der Rechtsanwalt habe die Frist mit Verschulden versäumt. Elektronische Fristenkalender dürften keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmlichen, manuell geführten Fristenkalenders. Die vom Antragsteller praktizierten Maßnahmen würden keine frühe Erkennung und hinreichende Möglichkeit der Beseitigung von Eingabefehlern und -versäumnissen gewährleisten. Vielmehr müsse zur Überprüfung immer ein Kontrollausdruck erfolgen, dies entweder von den eingegebenen Einzelvorgängen oder von dem Fehlerprotokoll. Dahinter steht die Überlegung des Gerichtshofs, dass bei dem Einsatz von elektronischen Fristenkalendern typische Fehlerquellen bestünden. Dazu würden etwa Fehler der EDV und Eingabefehler zählen.
Insbesondere angesichts des hektischen Arbeitsalltags in einer Kanzlei sei ein hohes Maß an Überprüfungssicherheit unverzichtbar, welches sich – so der BGH – nur durch den in Gestalt des Kontrollausdrucks herbeigeführten Medienbruch realisieren ließe. Eine rein bildschirmbasierte Eingabe und Kontrolle genüge demgegenüber nicht.

Auf einen Blick: Die Kernaussagen des BGH

  • Elektronischer Fristenkalender muss genauso überprüfungssicher sein wie Kalender in Papierform
  • Elektronische Führung des Fristenkalenders birgt hohe Fehlerquellen, selbst bei zuverlässiger Software und sorgfältig arbeitendem Personal (Vertippen, Verklicken)
  • Folge: Kontrollausdruck der jeweiligen Eingaben oder eines Fehlerprotokolls notwendig

Weitere Vorgaben der Rechtsprechung

Der elektronische Fristenkalender war über den dargestellten Beschluss des BGH bereits Gegenstand einer Vielzahl von Entscheidungen. So ergibt sich etwa aus dem Beschluss des BGH vom 02. Februar 2010 – XI ZB 23/08, XI ZB 24/08, dass die Kontrolle des Papierausdrucks durch einen einzigen Mitarbeiter genügt und hierbei nicht stets eine zweite Person hinzuzuziehen ist. Ebenso muss nach dem LG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juli 2005 – 12 (10) Sa 598/05 kein zusätzlicher, manueller Kalender geführt werden.

Zusammenfassung und Fazit: Rechtsprechung bremst weiterhin kanzleiinterne Digitalisierungsprozesse

Die neuerliche Entscheidung des BGH enthält angesichts dessen ständiger Rechtsprechung seit 1995 (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 1995 – VII ZB 3/95) keine Überraschungen. Dennoch bestand die Hoffnung, dass der BGH diese Chance nutzen würde, um im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche nunmehr eine weniger restriktive Ansicht zu vertreten. So hätten sinnvollerweise auch entsprechend abstrahierte, softwareseitige (Gestaltungs-)Anforderungen anheimgestellt werden können, die die Kontrolle eines Papierausdrucks obsolet werden lassen. Fraglich ist dabei auch der vom BGH seit 1995 unverändert angenommene, rechtstatsächliche Umstand, dass die Durchsicht eines Papierausdrucks gegenüber einer Kontrolle am Bildschirm generell weniger fehleranfällig sei. So gibt es bereits Studien aus der Psychologie, die zeigen, dass angesichts der Entwicklungen in der Bildschirmtechnologie Gedrucktes beim Korrekturlesen gegenüber Displays keinen Vorteil mehr hat.

Haftung vs. E-Justice: Analoge Fristenkontrolle weiterhin Pflicht

Der notwendige Medienbruch (nicht nur) an dieser Stelle verhindert ein vollständig digitales Arbeiten in einer Rechtsanwaltskanzlei. Nachdem gesetzliche Neuregelungen mit Blick auf den elektronischen Rechtsverkehr (E-Justice) eine solche Umstellung der kanzleiinternen Abläufe jedoch bedingen oder zumindest enorm begünstigen, weisen die Bemühungen der Legislative – mit Recht – in die entgegengesetzte Richtung. Es spricht daher viel dafür, dass sich der Gesetzgeber auch zeitnah dem elektronischen Fristenkalender annehmen sollte. Bis dahin werden die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nicht umhinkommen, zumindest den Prozess der Fristenkontrolle noch analog mittels Papierausdrucken durchzuführen, um nicht in die Haftungsfalle zu geraten.

Weiterführende Literaturhinweise

Foto: Adobe Stock/stock56876
Weitere Beiträge

Dr. Christina-Maria Leeb ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Praxisgruppe IT, IP und Medienrecht, in München. Sie wurde als eine von 26 Frauen als „Woman of Legal Tech 2018“ ausgezeichnet. Ihre Dissertation mit dem Titel „Digitalisierung, Legal Technology und Innovation – Der maßgebliche Rechtsrahmen für und die Anforderungen an den Rechtsanwalt in der Informationstechnologiegesellschaft“ ist im Herbst 2019 im Verlag Duncker & Humblot erschienen.
www.christina-maria-leeb.de

Katherine Kitur studiert als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung Rechtswissenschaft im 8. Fachsemester an der Universität Passau. Ihren Studienschwerpunkt hat sie auf das Informations- und Kommunikationsrecht gelegt. Daneben ist sie als Studentische Hilfskraft bei der HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft beschäftigt. 2019 wurde sie als Talent in das BayFiD-Programm (Bayerns Frauen in Digitalberufen) des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales aufgenommen.
Katherine Kitur auf Linkedin

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