Das Schweitzer Zukunftsforum 2021: Was ist aus dem Hype um Legal Tech geworden?

Von Nadia Neuendorf, Verena Schillmöller & Jasmin Kröner

Nach einer coronabedingten Pause im letzten Jahr fand am 19. Mai 2021 das dritte Schweitzer Zukunftsforum – virtuell – statt. Einen ganzen Tag lang gab es Vorträge von Experten und Expertinnen zu den Themen „Digitalisierung in der juristischen Praxis“: Wie wird sich das juristische Arbeiten aufgrund von Legal Tech verändern? Dabei wurde im Rahmen von Vorträgen mit anschließenden Fragerunden eine Bandbreite von aktuellen Legal Tech-Themen behandelt, z. B. die aktuelle Lage der Legal Tech-Szene, Kanzleien als Legal Tech-Unternehmen oder Mandantenbindung durch Technisierung. Für diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, gibt es hier die spannendsten Erkenntnisse aller Vorträge zum Nachlesen.

Bereits bei der Begrüßung der knapp 100 Teilnehmer:innen wurde im Gespräch zwischen der Programmleiterin für den Bereich „Recht und Beratung“ der Schweitzer Fachinformationen Barbara Mahlke und Legal Tech-Experte Patrick Prior die aktuelle Lage der Legal Tech-Szene thematisiert. Prior äußerte, dass sich die Veränderungen durch Legal Tech nicht im täglichen Geschäft, sondern eher langfristig zeigten. Dass das Thema momentan nicht mehr so einen Hype erfahre, wie noch vor ein paar Jahren, sei selbstverständlich. Nach dem ersten Schreck in der Anwaltschaft, dass Legal Tech die Arbeit von Anwältinnen und Anwälten ersetzen könnte, befände man sich nun in der sogenannten „Normalisierungsphase“. Die größten Änderungen im Rechtsmarkt stünden in den nächsten Jahren an und der Rechtsmarkt werde in zehn Jahren „wieder ganz anders“ aussehen, so Prior.

Wo steht Legal Tech heute?

Diese Frage stellte Patrick Prior in seinem anschließenden Vortrag und begann das Schweitzer Zukunftsforum mit einem Überblick über die aktuelle Lage und Veränderungen des Legal Tech-Markts. Bei den neugegründeten Legal Tech-Unternehmen hob er unter anderem VINQO und JUNE hervor. Auf der anderen Seite gab es auch Insolvenzen zu verzeichnen, wie die des amerikanischen Unternehmens IBM Ross. IBM Ross galt zu Beginn des Legal Tech-Hypes 2016 als eines der vielversprechendsten Legal Tech-Projekte – oder, wie Prior anmerkte, eines der Projekte, die zu viel versprochen hätten.

Auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie blieben von Prior nicht unerwähnt: Eine Studie von Lexis Nexis aus dem September 2020 ergab, dass mehr als 80 Prozent der befragten Kanzleien eine vermehrte Nutzung von Legal Tech-Tools erwartete. Zugleich wurden Mandanten erstmals in großer Zahl über das Web und Online-Videokonferenzsysteme beraten. Prior schlussfolgerte, dass Legal Tech endgültig im Arbeitsalltag von Jurist:innen angekommen sei. In der juristischen Ausbildung hingegen passiere seiner Meinung nach noch zu wenig in diesem Bereich – die juristischen Fakultäten würden sich hier erstaunlich schwertun.
Neu gegründet hat sich die erste deutsche Legal Tech University-Lernplattform.

Im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) und Automatisierung tue sich zwar viel, auf dem Markt sei das jedoch noch nicht zu erkennen, da sich viele Projekte noch in der Entwicklungsphase befänden. Priors Prognose: KI werde im Rechtsbereich in den nächsten zwei bis drei Jahren hauptsächlich Suchalgorithmen verbessern und für die Automatisierung einzelner Prozesse sorgen.

In der anschließenden Fragerunde kam die Frage auf, wie der deutsche Legal Tech-Markt im internationalen Vergleich dastehe. Prior zog beispielhaft den Vergleich zu China und sagte, im direkten Vergleich sei Deutschland „technisch gesehen ganz schlecht“ aufgestellt – in China werde bereits über einen WhatsApp-ähnlichen Messenger mit dem Anwalt oder der Anwältin per Video kommuniziert und auch Klagen könnten direkt über das Chatsystem eingereicht werden.

Kanzleien als Legal Tech-Unternehmen

Rechtsanwalt und Legal Tech-Experte Markus Hartung sprach in seinem zwanzigminütigen Vortrag Kanzleien als Legal Tech-Unternehmen: Streifzug durch ein regulatorisches Minenfeld über die teils problematische Gestaltung von RDG und BRAO und den diesbezüglichen Nachbesserungsbedarf.

Denn bei Rechtsberatung müsse es nicht immer der Maßanzug sein, bei vielen Fällen reiche, so wie in den meisten anderen Lebensbereichen auch, die Konfektionsware. Diese Rechtsberatungsprodukte werden derzeit meist durch Legal Tech-Unternehmen angeboten, die sich vollumfänglich den immer wieder in gleicher Weise auftretenden rechtlichen Problemen widmen.

Für Kanzleien hat Legal Tech laut Hartung zwei Dimensionen: Einerseits die Verbesserung der internen Prozesse, andererseits die Entwicklung neuer Rechtsberatungsprodukte („One to Many“). Doch an diesem Punkt stoßen Kanzleien aktuell noch auf Probleme wie Konflikte zwischen Haftung und Gewerblichkeit, großer Finanzierungsbedarf und Einschränkungen bei den Vergütungsregelungen (Verbot des Erfolgshonorars, Provisionsverbot etc.). Hier sollen die geplante BRAO-Reform und das „Legal Tech-Gesetz“ für eine Modernisierung sorgen und Kanzleien im direkten Vergleich mit Legal Tech-Unternehmen stärken.

Digitalisierung der Kanzlei

Der anschließende Vortrag Kanzlei-Digitalisierung 4.0 von Kanzleiberaterin Ilona Cosack startete mit einer Umfrage unter den Teilnehmenden. Gefragt wurde, ob analog oder digital gearbeitet werde. Das Ergebnis: 6 Prozent gaben an, noch komplett analog zu arbeiten, 28 Prozent arbeiten komplett digital und die Mehrheit von 67 Prozent macht beides parallel.

Laut Cosack wollen sich viele Kanzleien auf den Weg zur digitalen Kanzlei machen, wissen jedoch nicht wie. Hier lieferte sie eine einfache Handlungsanweisung:

  1. Ist-Aufnahme der Kanzleiabläufe: Wie wird gearbeitet?
  2. Bewertung: Welche Bereiche sollen umgestellt werden? Prioritäten festlegen
  3. Umsetzung: Schritt für Schritt vorgehen, Mitarbeitende einbinden, Meilensteine setzen, Erfolge feiern

Um die Umsetzung zu erleichtern, empfiehlt sie, die Digitalisierung wie das wichtigste Mandat zu behandeln. Das bedeutete, eine Akte anzulegen, sich Fristen zu setzen und messbare Ziele zu definieren.

Wissensmanagement mit Codefy

Wie Legal Expertise-Tech zur nachhaltigen Sicherung des Kanzleierfolgs beitragen kann, thematisierte Rechtsanwalt und Robotiker Tianyu Yuan im nächsten Vortrag. Er stellte das von ihm gegründete Legal Tech-Unternehmen Codefy vor und erklärte, wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mit Codefy effektives Wissensmanagement betreiben können. Codefy dient Kanzleien als „Wissenspool“ für die Dokumente, die in den meisten Kanzleien noch auf dem Laufwerk liegen. Zusätzlich bietet das Tool die effiziente Strukturierung dieser Dokumente, z. B. durch eine intelligente Suchmaschine. So können einzelne Passagen aus Dokumenten markiert und daraufhin alle Dokumente nach ähnlichen Passagen durchsucht werden.

Mandantenbindung durch Technisierung: Was erwartet Mandanten zukünftig?

In den Nachmittag des Schweitzer Zukunftsforums startete Ludwig Wolter, Jurist und Co-Founder von PACTA, einem Vertragsmanagement-Tool des Unternehmens BlockAxs. Das cloudbasierte Tool ermöglicht eine automatisierte Vertragserstellung mithilfe eines Fragenkatalogs. Das Besondere an der Software: Verträge können direkt für die betreffende Abteilung freigegeben und z. B. vom Geschäftsführer digital signiert werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können, je nachdem welche Rolle ihnen zugewiesen wird, auf unterschiedlichste Verträge zugreifen, wobei alle Formulare zentral von der Rechtsabteilung gesteuert werden.
Kleineren Kanzleien rät der Jurist, auch kleinere Budgets einzusetzen, um die Arbeit in der eigenen Kanzlei zu optimieren.

Workflow-Automatisierung mit ShakeSpeare

Im Anschluss stellte Business Developer Anselm Appel die Dokumentenmanagement-Software ShakeSpeare vor, die durch die Low-Code bzw. No-Code-Entwicklung eine eher experimentierfreudige Herangehensweise fördert und von Kanzleien wie auch Legal Tech-Unternehmen genutzt wird. Mit dem integrierten Software-Konfigurator können Workflows, also eine Abfolge von Tätigkeiten in Kanzleien, bzw. Unternehmen, abgebildet und automatisiert werden. Anwälte und Anwältinnen können diese Workflows entweder mit Unterstützung von ShakeSpeare abbilden, oder lassen dies von Legal Engineers des Unternehmens selbst bauen. Schnittstellen gibt es u. a. zu Advoware und DATEV.

Customer Centricity als Herausforderung und Chance für den Rechtsmarkt

Den letzten Vortrag hielt die Volljuristin und Vorstandsvorsitzende des Legal Tech-Verbands, Alisha Andert, die über das Thema Customer Centricity referierte. Mit Beispielen von Unternehmen aus dem Bereich eCommerce legte Andert den Teilnehmer:innen ans Herz, einmal nach rechts und links zu schauen. Anwältinnen und Anwälte könnten sich von Unternehmen wie Amazon, die sich durch eine bedingungslose Orientierung an den Kundenbedürfnissen auszeichnen, etwas abschauen. Denn glückliche Kunden, oder in diesem Fall Mandanten, kommen wieder und ziehen neue Kunden an.

Rechtsberatung werde derzeit noch nicht als Teil einer Wertschöpfungskette gesehen, sondern vielmehr isoliert betrachtet. Sie empfiehlt daher, auf ganzheitliche Rechtsberatung zu setzen. Was bedeutet das konkret? Wenn rechtsunkundige Mandanten, z. B. im Falle einer Kündigung, eine Kanzlei aufsuchen, ist für die Anwältin oder den Anwalt die rechtliche Prüfung teilweise so einfach, dass sie eher zweitrangig ist. Das größere Problem für den potenziellen Mandanten sei häufig ein emotionales. Kundenzentrierte Rechtsberatung geht daher auf die Bedürfnisse der Mandantschaft ein, indem sie z. B. ständige Erreichbarkeit (durch ein Service-Team) oder digitale Tools wie Abfindungsrechner auf der Website anbietet. Genau dieser Service – und nicht unbedingt primär die kompetente Rechtsberatung – kann der Auslöser für eine gute Bewertung oder Empfehlung sein. Ein altruistischer Ansatz kann sich also auszahlen!

Fazit: Kein Hype mehr, aber weiterhin großes Interesse an Legal Tech-Themen

Das Thema Legal Tech mag zwar keinen Hype mehr auslösen, das dritte Schweitzer Zukunftsforum hat aber deutlich gemacht, dass das Interesse an Legal Tech-Themen weiterhin groß bleibt. Das zeigte sich u. a. durch die rege Beteiligung in Form von vielen Fragen und Kommentaren, die von den Teilnehmenden nach den jeweiligen Präsentationen und auch in der Abschlussdiskussion eingingen. Durch interaktive Vorträge, Speed-Meetings mit Legal Tech-Unternehmen und die Möglichkeit zum virtuellen Austausch in der Mittagspause, gestaltete sich das Schweitzer Zukunftsforum als eine sehr lebhafte Veranstaltung, die von den Teilnehmer:innen als sehr informativ empfunden und in der Abschlussreflexion positiv bewertet wurde.

Foto: Schweitzer Zukunftsforum
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Die Autorinnen sind beim FFI-Verlag im Bereich Produktmanagement und Redaktion tätig.

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