Legal Tech-Gesetz

Das neue „Legal Tech“-Gesetz: Kompromiss für Anwaltschaft und Inkassobranche?

Von Tim Günther

Nachdem der BGH im Jahr 2019 mit der „wenigermiete.de“-Entscheidung die Weichen für einen weiten Inkassobegriff gestellt und damit ein breites Feld für die Legal Tech-Branche geöffnet hatte, rief dies zugleich den Gesetzgeber auf den Plan. Insbesondere die Anwaltschaft äußerte Skepsis und Zweifel (vllt. auch Ängste) vor den Auswüchsen, die ein weiter Inkassobegriff mit sich bringen könnte. Ein gutes Jahr später legt die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf vor, um die Entwicklungen der Rechtsdienstleistungen im Inkassobereich und die anwaltlichen Befugnisse anzugleichen. Im Ergebnis – so viel sei vorweggenommen – dürfen sämtliche Lager nicht vollends zufrieden sein. Nach diversen Stellungnahmen, Anhörungen, einer Runde durch den Rechtsausschuss wurde das Legal Tech-Gesetz (oder richtig formuliert: Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt) am 11.06.2021 im Bundestag und am 25.06.2021 im Bundesrat verabschiedet; es tritt am 1.10.2021 in Kraft.

Das Legal Tech-Gesetz

Das Legal Tech-Gesetz hat vor allem zum Ziel, den Rechtsrahmen der beteiligten Akteure (Inkassodienstleister auf der einen und Rechtsanwält:innen auf der anderen Seite) anzupassen und für eine weitergehende Transparenz auf dem Markt zu sorgen. Das Gesetz enthalte daher „für den Rechtsdienstleistungsmarkt wesentliche Weichenstellungen, die durch die aktuellen Entwicklungen veranlasst und notwendig geworden sind. Die Regelungen werden in vielen Punkten zur Stärkung der Rechtssicherheit und des Verbraucherschutzes führen und den Zugang zum Recht insgesamt fördern.“ (BT-Drs. 19/30495). Das jetzige Gesetz ergänzt (und ändert) damit auch das erst Ende des Jahres 2020 verabschiedete Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassobereich (BGBl. 2020, I, Nr. 67 vom 30.12.2020).

Zum einen wird jetzt das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (vor allem § 4a RVG, in Verbindung mit § 49b BRAO) bezüglich der Möglichkeit zur Vereinbarung von Erfolgshonoraren gelockert, andererseits werden die Regularien des RDG für die als Inkassodienstleister agierenden Legal Tech-Unternehmen verschärft. Im Einzelnen sind hierbei folgende Aspekte von gesteigerter Bedeutung:

Erfolgshonorar

Bislang ist die berufsrechtliche Rechtslage so, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte kein Erfolgshonorar vereinbaren dürfen; davon gab es eine – kaum relevante – Ausnahme, wenn der Aufraggebende andernfalls im Einzelfall von der Rechtsverfolgung gänzlich abgeschnitten wäre. Inkassodienstleister, Prozessfinanzierer und Legal Tech-Unternehmen dürfen sich hingegen Erfolgsbeteiligungen versprechen lassen; für sie gilt weder § 49b BRAO noch § 4a RVG.

Der neue § 4a RVG sieht diesbezüglich eine Abstufung dergestalt vor, dass Erfolgshonorare auch für Anwältinnen und Anwälte möglich sein sollen bei

  • der Geltendmachung von pfändbaren (!) Geldforderungen bis zu 2.000 Euro, egal ob im außergerichtlichen oder gerichtlichen Bereich; in dieser Konstellation sind ein Verzicht bzw. eine Reduzierung der gesetzlichen Gebühren jedoch nur möglich, wenn für den Erfolgsfall ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart wird (§ 4a Abs. 2 RVG n.F.);
  • außergerichtlichen Inkassodienstleistungen oder im gerichtlichen Mahn- und Zwangsvollstreckungsverfahren (§ 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO), jeweils unabhängig vom Gegenstandswert und damit ohne entsprechende Begrenzung sowie – im Gegensatz zur vorherigen Deckelung – unter dem Motto „no-win-no-fee“;
  • und in solchen Einzelfällen, in denen die Mandantin bzw. der Mandant andernfalls ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten wäre.

Damit soll eine Angleichung an die Möglichkeiten der anderen Marktteilnehmer:innen erreicht werden. § 4a Abs. 3 RVG n.F. regelt sodann, welche formalen Anforderungen im Wesentlichen an eine Vereinbarung über ein Erfolgshonorar zu stellen sind:

  • Angaben, welche Vergütung bei Eintritt welcher Bedingungen verdient sein soll
  • Angaben, ob und gegebenenfalls welchen Einfluss die Vereinbarung auf die vom Auftraggebenden zu zahlenden Gerichtskosten, Verwaltungskosten und die von diesem zu erstattenden Kosten anderer Beteiligter haben soll
  • die wesentlichen Gründe, die für die Bemessung des Erfolgshonorars bestimmend sind
  • im Fall, dass die Mandantin bzw. der Mandant andernfalls von der Rechtsverfolgung abgehalten würde, die voraussichtliche gesetzliche Vergütung und gegebenenfalls die erfolgsunabhängige vertragliche Vergütung, zu der der Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin bereit wäre, den Auftrag zu übernehmen

Kostenübernahme und Prozessfinanzierung

Der Gesetzesentwurf sah noch vor, dass es der Anwaltschaft gestattet werden soll, auch die Kosten eines Verfahrens (bspw. Gerichtskosten, Verwaltungskosten oder Kosten anderer Beteiligter) zu übernehmen. Voraussetzung ist nach § 49b Abs. 2 S. 2 BRAO n.F., dass die Rechtsanwältin bzw. der Rechtsanwalt in der betreffenden Angelegenheit auch ein Erfolgshonorar vereinbart. Diese Möglichkeit wurde im Legal Tech-Gesetz jedoch nicht mehr verankert; eine Übernahme von Fremdkosten ist nunmehr nur noch bei Inkassodienstleistungen nach § 4a I Nr. 2 RVG n.F. möglich.

Einschränkung des Inkassobegriffs

Gleichzeitig schränkt das Legal Tech-Gesetz die Möglichkeiten der Inkassodienstleister ein. Bislang galt nach § 2 Abs. 2 RDG die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, als Inkassodienstleistung. Der BGH hat den Inkassobegriff mit der „wenigermiete.de“-Entscheidung sehr weit ausgelegt und zu der Einziehung auch die Geltendmachung von Auskunfts- und Feststellungsbegehren gezählt. Dieses weite Verständnis schränkt der Gesetzesentwurf jetzt wieder ein: Er erweitert den Inkassobegriff des § 2 Abs. 2 RDG (nur) von der Einziehung bis „einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung“. Hiermit soll eine Klarstellung dahingehend erfolgen, dass die Prüfung der Berechtigung der Forderung und die Beratung des Auftraggebers vom Begriff der Inkassodienstleistung erfasst sind, solange und soweit sie sich auf die Einziehung einer konkreten Forderung beziehen. Im Übrigen solle mit der Ergänzung aber auch verdeutlicht werden, dass weitergehende Tätigkeiten, auch wenn sie in einem gewissen inhaltlichen Zusammenhang mit einer Forderungseinziehung stehen, nicht mehr unter den Begriff der Inkassodienstleistung gefasst werden können.

Transparenz und Interessenkollision

Zudem werden Inkassodienstleistern insb. gegenüber Verbrauchern künftig vielfältige Informationspflichten auferlegt; auch das Registrierungsverfahren wird durch die Anforderungen an Angaben und Nachweise erschwert. Trostpflaster ist hingegen, dass § 4 RDG n.F. nunmehr klarstellt, dass eine Unvereinbarkeit der Rechtsdienstleistung nicht mehr nur deshalb angenommen werden soll, weil aufgrund eines Vertrags mit einem Prozessfinanzierer Berichtspflichten gegenüber dem Prozessfinanzierer bestehen.

Neu in dem Gesetz ist vor allem, dass § 13 b RDG (ergänzt durch § 13c RDG für die Vergütungsvereinbarungen für Inkassodienstleistungen und Rechtsdienstleistungen in einem ausländischen Recht) nunmehr verlangt, dass Inkassodienstleister, die für einen Verbraucher tätig werden, diesem vor Abgabe seiner Vertragserklärung über eine Inkassodienstleistung sehr umfassende Informationen in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen müssen. Hier erfolgt eine Angleichung an die bei Rechtsanwält:innen übliche Vergütungsvereinbarung. Inhalte der Vertragserklärung müssen vor allem sein:

  • Hinweis auf ein Erfolgshonorar und welche anderen Möglichkeiten zur Durchsetzung der Forderung bestehen, insbesondere, wenn diese es dem Verbraucher im Erfolgsfall ermöglichen, seine Forderung in voller Höhe zu realisieren,
  • eine etwaige Absicherung der Kostenrisiken durch einen Prozessfinanzierer sowie auf die mit dem Prozessfinanzierer im Hinblick auf die Prozessführung getroffenen Vereinbarungen,
  • bei einem möglichen Vergleichsschluss einen Hinweis hierauf und insbesondere Erläuterungen dazu, ob der Vergleichsschluss der vorherigen Zustimmung des Verbrauchers bedarf oder ob und unter welchen Voraussetzungen er von ihm widerrufen werden kann, und wie sich die Ablehnung oder der Widerruf eines Vergleichsschlusses durch den Verbraucher auf die Vergütung des Inkassodienstleisters und das weitere Verfahren und auf die Vergütung des Inkassodienstleisters auswirkt,
  • die Bezeichnung, Anschrift und elektronische Erreichbarkeit der für den Inkassodienstleister zuständigen Aufsichtsbehörde.

Kosten und Umgang mit Geld

In letzter Minute wurden noch Regelungen bezüglich der Kosten der Inkassodienstleister und dem Umgang mit Fremdgeldern – zum Gleichlauf mit der Anwaltschaft – in das Gesetz eingefügt.

So sieht § 13e Abs. 1 RDG vor, dass ein Gläubiger die Kosten, die ihm ein Inkassodienstleister für seine Tätigkeit berechnet hat, von seinem Schuldner nur bis zur Höhe der Vergütung als Schaden ersetzt verlangen kann, die einem Rechtsanwalt bzw. einer Rechtsanwältin für diese Tätigkeit nach den Vorschriften des RVG zustehen würde. Dazu regelt § 13f RDG, dass der Gläubiger bei einer Beauftragung zur Einziehung einer Forderung sowohl durch einen Inkassodienstleister als auch durch einen Rechtsanwalt, die ihm dadurch entstehenden Kosten sodann nur bis zu der Höhe als Schaden ersetzt verlangen kann, wie sie entstanden wären, wenn er nur einen Rechtsanwalt beauftragt hätte.

Inkassodienstleister und Fremdgelder

Auch der Umgang mit Fremdgeldern wurde für die Inkassodienstleister neu (bzw. erstmalig) geregelt. Diese haben fremde Gelder unverzüglich an eine empfangsberechtigte Person weiterzuleiten oder auf ein gesondertes Konto einzuzahlen. Sinn und Zweck dieser Separierung sind vor allem die Sicherung vor Beschlagnahmung oder Vollstreckung. Die Frage, welcher Zeitraum als „unverzüglich“ zu bewerten ist, muss einzelfallabhängig beurteilt werden. Der Sorgfaltsmaßstab der „Unverzüglichkeit“ ergibt sich zunächst aus § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB (als „ohne schuldhaftes Zögern“). Eine feste Frist gibt es nicht; vielmehr sind die Umstände des Einzelfalles (bspw. durch Mandatsabsprachen oder -besonderheiten) zu berücksichtigen. Auch die Aspekte der Unternehmensgröße und der Organisation der Buchhaltung sind dabei von Bedeutung, wenngleich sie keine übergeordnete Rolle spielen dürfen. Der Inkassodienstleister muss demnach sein Unternehmen so organisieren, dass auch bei größeren Strukturen keine schuldhafte Verzögerung bei der Fremdgeldauskehrung eintritt. In der Regel wird eine Verwahrung nicht länger als eine Woche dauern dürfen.

Fazit: Das Legal Tech-Gesetz war wohl nur der erste Schritt

Das jetzt verabschiedete Gesetz dürfte nur ein Zwischenschritt gewesen ein. Der Bundestag sieht insoweit nach wie vor den Bedarf, die Praxis weiter zu beobachten und die noch ausstehenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Rechtsdienstleistungsrecht in die weiteren Überlegungen miteinzubeziehen. Es dürften also auch in der neuen Legislaturperiode weitere Ergänzungen der Berufsrechts und weitere Regulierungen (oder vielleicht gar Öffnungen) für den Legal Tech-Bereich zu erwarten sein.

Es soll künftig vor allem geprüft werden, ob

  • die Kohärenz zwischen den berufsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsanwaltschaft einerseits und andere Rechtsdienstleister andererseits Anpassungen im Hinblick auf weitere Anforderungen (beispielsweise Verschwiegenheitspflichten) notwendig macht;
  • bei Fallgestaltungen, in denen ein Inkassodienstleister eine ihm auf fremde Rechnung abgetretene Forderung, bei der die außergerichtliche Durchsetzung erfolglos geblieben ist, durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt oder eine von ihm beauftragte Rechtsanwältin gerichtlich durchzusetzen versucht, das geltende Recht den Interessen des Auftraggebers des Inkassodienstleisters als wirtschaftlichem Forderungsinhaber ausreichend Rechnung trägt;
  • nicht innerhalb von drei Jahren eine moderate Öffnung der Möglichkeiten für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Erfolgshonorare zu vereinbaren und (bei der außergerichtlichen Einziehung von Forderungen) auch Verfahrenskosten zu übernehmen, bestehe und
  • die derzeitigen Anforderungen an die Sachkundeanforderungen genügen.
Foto: Adobe Stock/katatonia
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Rechtsanwalt Tim Günther ist seit über zehn Jahren als Rechts-
anwalt tätig und Partner der Jähne Günther Rechtsanwälte PartGmbB mit einem Beratungsschwerpunkt im Wirtschafts- und Berufsrecht. Er ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Versicherungsrecht.

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