Berufsrecht

Das anwaltliche Berufsrecht der Zukunft: Welche Reformen brauchen wir?

Von Bettina Taylor

Podiumsdiskussion mit Dr. Alexander Siegmund, BRAK-Mitglied (Ausschuss Bundesrechtsanwaltsordnung) und Legal Tech-Unternehmer Dr. Philipp Kadelbach

Wie muss das anwaltliche Berufsrecht gestaltet werden, damit sowohl Legal Tech-Unternehmen als auch klassische Anwaltskanzleien zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln können? Diese Frage beschäftigt die deutsche Rechtsdienstleistungsbranche schon seit einigen Jahren und war auch Thema der Podiumsdiskussion „Digitalisierung und Berufsrecht“ beim Anwaltszukunftskongress am 11.10.2019.

Gegenüber standen sich Vertreter der zwei wesentlichen Interessenlager der Debatte: Dr. Philipp Kadelbach, Gründer der Flightright GmbH, als Vertreter innovationsfreudiger Legal Tech-Enthusiasten und Dr. Alexander Siegmund, Mitglied im Ausschuss Bundesrechtsanwaltsordnung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Er vertrat die konventionelle Anwaltschaft, die das klassische Berufsrecht mit seinen Regulierungen im Wesentlichen beibehalten will. Für die ein oder andere Zuhörerin bzw. den ein oder anderen Zuhörer wäre es hilfreich gewesen, sich das anwaltliche Berufsrecht und das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) noch einmal genauer durchzulesen, um die Podiumsdiskussion zu verstehen. Die Debattenführer stiegen sofort in die Thematik ein und setzten eine Menge Wissen voraus. Doch auch weniger informierten  Zuhörerinnen und Zuhörern dürfte die Kontroverse rund um die Thematik deutlich geworden sein.

Kontra Legal Tech: Regulierungen sichern Verfassungstreue

Zunächst hatte Dr. Alexander Siegmund, der sich für eine konventionelle Gesetzgebung aussprach, das Wort: „Man darf nicht immer fragen, was man braucht! Die rechtlichen Regelungen sind kein Selbstzweck, sondern müssen mit der Verfassung vereinbar sein. Es geht nicht nur um den Schutz der Anwaltschaft als Berufsgruppe, sondern auch um den Schutz der Verbraucher.“ Fakt ist, dass viele Legal Tech-Unternehmen nach wie vor in einer rechtlichen Grauzone agieren. Um das Rechtsdienstleistungsgesetz zu umgehen, firmieren Legal Tech-Unternehmen oft als Inkasso-Unternehmen. Kadelbach sieht diesen regulatorischen Rahmen als Innovationsbremse: „Legal Tech-Unternehmen machen mittlerweile achtstellige Umsätze. Sie haben den Zugang zum Recht in Deutschland nachhaltig verändert. Auf der anderen Seite haben wir ein steinzeitliches Berufsrecht. Es schränkt Anwälte in ihren Möglichkeiten ein und verbietet ihnen, Investitionen in Fremdkapital zu tätigen.“ Der Aufbau automatisierter und intelligenter Rechtsdienstleistungen sowie erfolgsbasierter Geschäftsmodelle sei dadurch gefährdet. Legal Tech-Investoren hätten keine Rechtssicherheit, beklagte Kadelbach.

Politik diskutiert viel, beschließt aber wenig

Seitens der Politik gab es schon Versuche, diesen Missstand aufzuheben, wie die Zuhörerinnen und Zuhörer erfuhren. Auf der Justizministerkonferenz im Juni 2019 wurde viel Sinnvolles gesagt, aber wenig beschlossen, so Kadelbach. Die Politik schiebe Entscheidungen auf, um sie letztlich dem Bundesgerichtshof zu überlassen. Im April 2019 verabschiedete die FDP einen Gesetzesentwurf, der eine Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes vorschlug. Dieser „schlummere“ jedoch vor sich hin. Dennoch findet Kadelbach den Kerngedanken des Eckpunktepapiers gut: Es soll im RDG einen sogenannten „Erlaubnistatbestand für automatisierte Rechtsdienstleistungen“ verankern, um das Dilemma, in dem Legal Tech-Unternehmen sich befänden, aufzuheben.

Auch die bisherigen Bemühungen des Bundesjustizministeriums sind nach Auffassung des Legal Tech-Unternehmers wenig ausgereift. Das Eckpunktepapier zur BRAO-Reform schlägt eine Umgestaltung von Berufsausübungsgemeinschaften vor. Von Legal Tech wird darin jedoch nicht explizit gesprochen. Dieses Vorhaben sehen sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer als auch der Deutsche Anwaltverein kritisch: „Ich bin der Meinung, dass wir im Rahmen des RDG Möglichkeiten haben, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um Legal Tech-Unternehmer aus der rechtlichen Grauzone herauszuholen“, erläuterte Siegmund.

Pro Legal Tech: Anwaltschaft muss von Beschränkungen befreit werden

Philipp Kadelbach, der das Legal Tech-Unternehmen Flightright gründete, widersprach hier und betonte, dass dieser gesetzliche Rahmen auf Dauer nicht zukunftsfähig sei. „Das Anwaltsmonopol beizubehalten, wird nicht funktionieren. Kunden wollen diesen Dienst! Das ist genau wie im Finanzsektor, als zum Beispiel gegen PayPal gewettert wurde.“ Kadelbach erwähnte in diesem Zusammenhang auch das am Vortag der Veranstaltung beschlossene Urteil des LG Köln gegen den Vertragsgenerator „Smartlaw“. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hatte geklagt, weil sie im Dienst einen Verstoß gegen das RDG gesehen hatte und vor Gericht Recht bekommen.

Für Kadelbach ein Alarmsignal: „Wenn man so herangeht, blockieren die Anwaltskammern die Modernisierung und die Innovation des gesamten Rechtsmarkts – etwas, das wir dringend brauchen, um nicht den Anschluss zum Ausland zu verlieren! Wir brauchen Investitionen, um neue Technologien zu entwickeln.“ Kadelbach nutzte die Gelegenheit, um einen Appell an die Politik zu richten: „Deutschland muss das Recht proaktiv mitgestalten. Befreit die Anwälte von diesen Beschränkungen. Lasst das Erfolgshonorar und auch Investitionen in kontrolliertem Maße in Anwaltsstrukturen zu. Legal Tech-Unternehmen haben gezeigt, dass sie gute Arbeit machen. Gebt ihnen eine Chance und einen sinnvollen regulatorischen Rahmen!“

Kontra Legal Tech: Erfolgshonorare begünstigen Korruption

Nach diesem Appell gab der Moderator folgende provokative Frage an Dr. Alexander Siegmund als Vertreter der klassischen Anwaltschaft weiter: „Sollte das anwaltliche Berufsrecht restriktiv bleiben, auch wenn es die Erschließung von Kooperationen und eigenständigen Geschäftsmodellen verhindert?“ „Kooperationen als solche sind ja nicht verboten, aber Geldströme sollten begrenzt bleiben. Nehmen wir das Beispiel der Erfolgshonorare.“ Laut Siegmund sollten diese nicht über die bestehenden gesetzlichen Beschränkungen hinausgehen, sonst sei die Neutralität anwaltlicher Arbeit gefährdet. „Der Anwalt darf nicht in die Interessenlage des Mandanten fallen. Er darf kein besonderes Eigeninteresse im Zusammenhang mit dem Fall haben.

Ein Beispiel aus dem Legal Tech-Bereich, der mich wirklich geärgert hat, waren diese Abfindungsgeschichten: In dem Dienst konnte man online seine Daten eingeben und herausfinden, wie viel man angeblich bekommt. Was aber nicht transparent kommuniziert wurde ist, dass das jeweilige Legal Tech-Unternehmen 50 Prozent Erfolgsprämie davon abzieht! Das ist einfach überteuert. Man sollte das durch einen Schwellenwert eindämmen.“ Kadelbach hielt die Annahme, dass das Erfolgshonorar anwaltliche Unabhängigkeit gefährde, für zu kurz gedacht. „Das ist Augenwischerei! Keiner ist wirklich unabhängig. Wurde überhaupt jemals empirisch nachgewiesen, dass bei einem Anwalt gleich die Lichter durchbrennen, nur weil er erfolgsbasiert arbeitet?“ Erfolgshonorare seien Teil moderner Dienstleistungen und würden die Anwaltschaft aus ihrer „Komfortzone“ herausholen. Die Gefahr von Korruption gäbe es nach Ansicht von Kadelbach nur bei einem geringen Anteil der Fälle. Stattdessen könne das Modell sehr vielen Menschen den Zugang zum Recht vereinfachen.

Pro Legal Tech: Verbraucherinnen und Verbraucher wollen einfache Services

Siegmund behauptete, dass man mit derartigen Regelungen klassische anwaltliche Dienstleistungen und Legal Tech-Unternehmen gleichschalte: „Wenn wir alles gleichschalten, kann der Verbraucher nicht mehr unterscheiden. Man sollte immer die Wahl zwischen Legal Tech und dem klassischem Anwalt haben.“ Kadelbach entgegnete: „Woher weiß man immer so genau was der Verbraucher will? Er wird in solchen Debatten immer instrumentalisiert. Vielleicht ist es ihm lieber, wenn Anwälte bestimmte Services auf Erfolgsbasis anbieten. Wir maßen uns immer an, zu wissen, was Verbraucher wollen.“

Fazit: Gesetzgeber muss dringend handeln

Insgesamt konnte sich keines der beiden Lager innerhalb der Diskussion als das „Stärkere“ behaupten. Kadelbach dürfte als Vertreter der Legal Tech-Befürworter auf einer Veranstaltung wie dem Anwaltszukunftskongress jedoch die Mehrheit des Publikums auf seiner Seite gehabt haben. Sehr deutlich zeigte sich allerdings, dass gesetzliche Neuregelungen – egal ob für oder gegen eine Öffnung des Berufsrechts – dringend notwendig sind. Wenn klare Beschlüsse weiterhin aufgeschoben werden, werden Gerichte nachhelfen müssen und eine willkürliche und ‚fleckenhafte‘ Gesetzeslage schaffen. Das kann weder im Sinne der Anwaltschaft, noch im Sinne von Legal Tech und Verbrauchern sein.

Fotos: FFI-Verlag
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Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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