Was macht das Tech aus dem Legal? Zukunftsperspektiven auf dem Deutschen Anwaltstag

Von Bettina Taylor

Dieses Jahr blickten die 1.700 Teilnehmer des 68. Anwaltstags, der Ende Mai in Essen stattfand, durch das Veranstaltungsmotto „Legal Tech und Innovationen“ mehr denn je in die Zukunft. Im Gespräch mit den Messeteilnehmern wurde klar: Die aktuellen technischen Entwicklungen rund um Rechtsberatung lösen Fragen und Unsicherheit, aber auch Hoffnung und Optimismus aus.

Die AdvoTec ist mit ihren 800 Quadratmetern vergleichsweise überschaubar. Doch die Innovationen, die die rund 70 Aussteller hier zeigen, könnten den deutschen Rechtsmarkt in den nächsten Jahren gehörig umkrempeln. Hier präsentieren sich alle unter dem Stichwort Legal Tech. Im Unterschied zur klassischen Kanzlei bildet digitale Technik ein Kernelement ihres Geschäftsmodells. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 60 Unternehmen, die sich als Legal Tech-Unternehmen bezeichnen – weltweit sind es 1.500. Ein Indiz dafür, dass der Begriff mehr eine tiefgreifende Marktveränderung als einen flüchtigen Trend beschreibt. Doch welche Veränderungen sind das genau?

„Preisschild“ an die Rechtsberatung

Maximilian Block ist einer der Gründer der advocado GmbH. Das Start-up ist ein Online-Marktplatz für Rechtsdienstleistungen und vermittelt für jedes Rechtsproblem den passenden Rechtsbeistand zum Festpreis. Das „Zalando für Juristen“ (Handelsblatt) hat sich mittlerweile zum führenden Anbieter entwickelt. In den nächsten beiden Jahren will advocado zum größten Portal in Europa werden. Online-Shopping in der Rechtsberatung? Das entspricht einfach den Erwartungen der heutigen Mandanten, so Block. Der wolle ein „Preisschild“ an jeder Dienstleistung, die ihm angeboten wird. „Die Gewohnheiten, die er zum Beispiel durch Amazon bekommt, projiziert er auf den Rechtsmarkt.“ Löst das „Preisschild“ nun das RVG als Abrechnungsgrundlage ab? Unter den Legal Tech-Unternehmen ist zumindest eine flexible Preispolitik zu beobachten. Für Block ist sie ein Mittel, um auf die individuellen Bedürfnisse seiner Zielgruppe einzugehen.

Automatisierung als Geschäftsmodell

Legal Tech-Unternehmen wollen nicht nur den Mandanten genau im Blick haben. Legal Tech bedeutet auch, da zu automatisieren, wo es möglich ist. Erfolgreiche Angebote wie Flightright.de oder Hartz4widerspruch.de haben ihre Nische gefunden. Sie nutzen Software, um Rechtsprobleme, die immer die gleichen Arbeitsprozesse erfordern, automatisch und somit auch in Massen, zu lösen. „Bei allem was in der Masse verallgemeinerbar ist, sei es ein Bußgeldbescheid oder eine Fluggastverspätung, lohnt es sich, eine Software zu entwickeln“, sagt Markus Veith von der AdvoAsisst GmbH & Co. KG. Sein Unternehmen bietet eine digitale Infrastruktur für Terminsvertretungen an: Anwalt A wird an Anwalt B vermittelt, um auswärtige Gerichtstermine zu einer Pauschalgebühr wahrzunehmen. Er sträubt sich jedoch davor, seine Dienstleistung als Legal Tech zu bezeichnen. „Legal Tech ist meiner Meinung nach die Automatisierung von Rechtsberatung oder die automatische Erstellung von Dokumenten über die Auswertung von Daten und Algorithmen. Wir haben eher eine große Tech-Komponente, würde ich sagen. Die eigentliche Arbeit, die Terminsvertretung, machen schließlich die Menschen.“

Unerreichbare Mandanten erreichen

Gerade diese Automatisierung ist es, die Legal Tech-Kritikern Unbehagen bereitet: Wo bleibt dem Anwalt da die Arbeit? Thomas Bönisch, Mitarbeiter der AdvoTools GmbH, hält diese Reaktion für normal: „Jede neue Entwicklung macht erst mal Angst und gerade wir Anwälte sind eher konservativ. Vor allem in diesen Zeiten muss man aber flexibel sein und die Entwicklung beobachten, damit man die Chancen durch Legal Tech erkennt.“ Bönisch sieht zum Beispiel viel Potential in der Online-Beratung. Sie eröffne den Zugang zu Mandanten, die normalerweise aus Angst vor den Kosten gar nicht erst zum Anwalt gingen. „Online-Beratung kann eine Möglichkeit sein, um transparente Modelle zu etablieren und den Menschen die Angst vor den Kosten zu nehmen.“

Anwalt per App beauftragen

Im Idealfall erleichtert die Technik nicht nur dem Mandanten einiges, sondern auch dem Anwalt. Hier setzt die Software „Advozon 365+“ an, wie Gerhard Hülskötter von Advoware beschreibt: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen abends um 21 Uhr nach Hause, ein Fahrrad fährt plötzlich vor Ihr Autor und prompt sind Sie in einen Unfall verwickelt! Was machen Sie? Statt bis morgen zu warten, nehmen Sie Ihr Handy und finden per App die Anwälte in nächster Umgebung. Wenn Sie sich für einen entschieden haben, sehen Sie über einen Online-Kalender, wann er einen freien Termin hat und können sich sofort eintragen. Der Mandant hat den Vorteil, dass er das schnell und vor Ort abhaken kann. Der Anwalt hat den Vorteil, dass er einen Mandanten bekommt, den er so wahrscheinlich nicht bekommen hätte – für junge Anwälte ein hervorragendes Marketing-Instrument.“ Im Gegensatz zu Maximilian Block von advocado möchte Hülskötter sein System jedoch nicht als Online-Shop für Rechtsberatung bezeichnen. „Das halte ich für gefährlich.“ Schwingt hier die Angst mit, durch massenhafte Bearbeitung von Mandaten, „billig“ zu wirken?

Was nur der Anwalt leisten kann

Viele Juristen befürchten, dass mit der steigenden Quantität die Qualität der Rechtsberatung sinken könnte. Markus Veith von AdvoAssist ist da ganz anderer Meinung: „Diese Gefahr sehe ich absolut gar nicht! Standardabläufe bekommt eine Software sogar besser hin, weil sie keine Fehler macht.“ Er sieht die neue Technik vielmehr als ein Werkzeug, das dem Anwalt „lästige Arbeit“, wie Recherche oder die Erstellung von Schriftsätzen, abnimmt, damit er sich auf seine Kernaufgabe, die Rechtsberatung, konzentrieren kann. Und diese wird ihm die Maschine so schnell nicht abnehmen, sagt Veith: „Wegen der ganzen Verästelung der Rechtsprobleme bekommt das eine Maschine so schnell nicht hin. Hier ist die Transferleistung gefragt, die nur ein Anwalt mit Studium und Erfahrung leisten kann.“

Auf dem Deutschen Anwaltstag waren die Sichtweisen auf die aktuelle Branchenentwicklung vielfältig. Über eines waren sich jedoch alle Gesprächsteilnehmer einig: Digitale Technik wird immer mehr zum festen Bestandteil der Rechtsbranche. Dennoch: „Tech“ sollte dem „Legal“ dienen und nicht umgekehrt.

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Bettina Taylor arbeitet als Produktmanagerin und Redakteurin beim FFI-Verlag. Als studierte Online-Journalistin gehören SEO, webgerechtes Texten und Content-Marketing zu ihren Spezialgebieten. ffi-verlag.de

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