Legal Engineer

Berufsbild Legal Engineer – zwischen Jura und IT

Von Christian Hartz

Der Beruf des Legal Engineers gewinnt angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Rechtsbranche zunehmend an Bedeutung. Denn er stellt eine hilfreiche Verknüpfung zwischen Jura und IT dar. Ein Legal Engineer ist mit beiden Disziplinen vertraut und kann bei Digitalisierungsfragen und Projekten die entscheidenden Impulse oder Softwarelösungen liefern. Wie das in der Praxis funktioniert, was den Beruf darüber hinaus ausmacht und welche Projekte ein Legal Engineer umsetzt, hat uns Christian Hartz, Legal Engineer bei Wolters Kluwer, verraten.

Herr Hartz, wie würden Sie das Berufsbild des Legal Engineers beschreiben?

Es gibt meiner Ansicht nach nicht den Legal Engineer oder die Legal Engineerin.

Das Berufsbild des Legal Engineers ist noch recht neu. Es gibt Legal Engineers in ganz verschiedenen Arbeitsbereichen: in Rechtsanwaltskanzleien, in Rechtsabteilungen, reinen Legal Tech-Unternehmen oder, wie in meinem Fall, bei einem weltweiten Anbieter von Fachinformationen, Software und Services. Allein die Tatsache, dass es so vielfältige Arbeitsbereiche gibt, lässt erahnen, wie unterschiedlich Legal Engineers arbeiten.

Legal Engineers befassen sich beispielsweise in Kanzleien damit, Prozesse zu entwickeln, um eingehende Post automatisiert zu bearbeiten oder Unterschiede in verschiedenen Schriftsätzen der Gegenseite zu erkennen. Ebenso können Legal Engineers bei Due-Diligence-Verfahren zum Einsatz kommen, um eine Vielzahl von Dokumenten automatisiert zu durchsuchen.

In Unternehmen könnten sie zum Beispiel dabei helfen, interne Prozesse der Rechtsabteilung oder die Kommunikation zu externen Kanzleien zu optimieren.

Die Aufgaben bei einem Fachinformations- und Softwareanbieter wie Wolters Kluwer sehen wiederum ganz anders aus. Hier werden Jurist:innen bei der Digitalisierung unterstützt.

Es gibt also nicht das Berufsbild des Legal Engineers, aber es gibt Gemeinsamkeiten:
Legal Engineers bringen häufig sowohl juristisches als auch technisches Wissen mit, teilweise ergänzt um Wissen zu (agilem) Projektmanagement. Durch diese Kombination verstehen sie beide Seiten – die juristische und die technische. Sie sind in der Lage, zwischen diesen beiden Seiten zu vermitteln und sicherzustellen, dass eine gemeinsame Sprache gesprochen wird.

Wie sieht ein typischer Tag Ihres Berufes als Legal Engineer aus?

Mir gefällt besonders, dass es keinen typischen Arbeitstag gibt. Mein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Integration von maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz in juristische Arbeitsabläufe.

Einerseits arbeite ich hier mit den Produktverantwortlichen zusammen, andererseits stimme ich mich eng mit den Entwickler:innen unserer Applikationen und aus dem Bereich KI/Machine Learning ab. Da die Entwicklung der Lösungen in einem agilen Framework stattfindet, gibt es auch entsprechende Meetings wie „Dailies“ oder „Reviews“, die den Tag teilweise strukturieren.

Dazwischen geht es dann beispielsweise darum, mit neuen weltweit agierenden Teams zu erarbeiten, ob bereits bestehende Techniken auch in ihre Workflows eingebunden werden können. Gerade dieser Teil ist superspannend, denn häufig geht es darum, ein bestehendes KI-Modul für einen ganz anderen Ansatz erneut zu verwenden oder mit einer Kombination aus Systemen eine ganz neue Aufgabe zu erfüllen.

Nehmen wir beispielhaft den heutigen Tag, so hatte ich bereits eine Abstimmung mit einem Team zur Nutzung einer Analyse-Komponente für Rechtsprechung in Deutschland (eine bestehende Entwicklung), Belgien und den Niederlanden (eine zukünftige Entwicklung). Hinzu kommt eine Abstimmung, wie diese Komponente auch in einem Microsoft-Produkt genutzt und grundsätzlich weiterentwickelt werden kann.

Gibt es ein besonders gelungenes Projekt, das Sie in den vergangenen Monaten umgesetzt haben, von dem Sie berichten können?

Ein Projekt, welches wir vor Kurzem für erste Nutzer:innen zum Feedback freigegeben haben, soll dabei helfen, die juristische Recherche zu vereinfachen und tief in den Workflow zu integrieren. Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine E-Mail von einer Mandantin oder einem Mandanten mit der Schilderung eines Rechtsfalls. Angenommen, es ist ein Thema, von dem Sie keine Ahnung haben. Der erste Weg führt Sie oftmals entweder in eine juristische Datenbank, einen Kommentar, ein Handbuch oder Sie starten eine einfache Google-Suche. Jedoch müssen Sie zunächst herausfinden, was Sie suchen müssen. Unsere Idee ist, dass wir Jurist:innen diesen Weg ersparen. Wir analysieren den geschilderten Fall und sagen ihnen, was die passenden Normen und/oder die passende Rechtsprechung ist. Perspektivisch zeigen wir auch den passenden Inhalt aus einem Kommentar oder einem Handbuch. Unser Ziel ist, dass Jurist:innen gar nicht in eine klassische Recherche abspringen müssen, sondern diese direkt in Outlook oder in die Kanzleisoftware integriert wird.

Dieses Projekt zeigt, welche Techniken beispielsweise zur Anwendung kommen können und wie komplex die Verwendung von künstlicher Intelligenz im juristischen Umfeld ist. Hier musste eine Kombination aus klassischer Suche und neuster KI-Technologie eingesetzt werden, denn juristische Sprache unterscheidet sich teilweise deutlich von der Alltagssprache.

Über welche Ausbildung und welche Kenntnisse sollten Legal Engineers verfügen?

Aufgrund der Vielfältigkeit der Beschäftigungsmöglichkeiten für Legal Engineers ist das keine leichte Frage.

Auf einer sehr hohen Abstraktionsebene sollte sowohl juristisches als auch technisches Wissen vorhanden sein. Auf welche Art und Weise dieses Wissen angeeignet wurde, ist dabei nebensächlich.

Denkbar ist beispielsweise ein klassisches juristisches Studium und danach „Learning on the Job“. Denkbar ist aber auch, dass bereits während des Jurastudiums in den immer häufiger zu findenden Legal Tech Labs mitgearbeitet wird.

Ebenso passen Studiengänge wie Wirtschaft und Recht oder anverwandte Studiengänge dazu. Teilweise existieren ja sogar bereits Legal Tech-Studiengänge oder auch Qualifikationsmöglichkeiten neben dem Studium wie die Legal Tech University.

Schließlich ist auch der Weg aus der Informatik selbst denkbar.

Gerade weil das Berufsbild des Legal Engineers noch sehr neu ist, sind die Wege dahin noch nicht festgelegt. Auch das macht es aus meiner Sicht so spannend.

Wie schätzen Sie die Entwicklung dieses Berufsbildes ein? Wird es zukünftig auch in Kanzleien vermehrt Legal Engineers geben?

Insbesondere größere Kanzleien haben bereits erste Legal Engineers eingestellt. Dies wird meiner Ansicht nach auch in Zukunft immer häufiger erfolgen. Die Optimierung der Prozesse, der Einsatz und die eigene Erstellung von Legal Tech-Tools als Beratungsangebot wird immer mehr in den Fokus rücken. Auch die Einbindung des Legal Engineers in die richtige Auswahl von Legal Tech-Tools wird eine Rolle in den Kanzleien spielen.

Die Relevanz bei kleineren Kanzleien sehe ich als eher gering an. Legal Tech-Tools werden hier eher über externe Beratungsangebote oder als Teil von bestehenden Kanzleisoftware-Lösungen implementiert.

Da der Beruf des Legal Engineers so vielfältig ist, werden Spezialisierungen in Zukunft zunehmen.  Insgesamt werden Legal Engineers, ähnlich anderer neuer Berufsbilder wie Legal Designer:innen, in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein.

Herr Hartz, vielen Dank für das Interview. 

Foto: Adobe Stock/©Tierney
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Christian Hartz ist seit Januar 2019 Legal Engineer bei Wolters Kluwer Deutschland, arbeitet im Team Content Architecture und AI und seit Januar 2020 daneben auch im globalen Product Development and Innovation-Team von Wolters Kluwer. Neben der Implementierung von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz in Expertenlösungen und die Vermittlung von Wissen über die Anwendungsmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz in das Unternehmen ist sein Fokus die digitale Transformation des juristischen Arbeitsumfeldes.

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